Trouble - Ein Jack-Reacher-Roman
Lederkluft waren unterwegs. Reacher, der den Lärm lästig fand, zeigte dem Biker den Stinkefinger. Die Harley wurde langsamer, und Reacher hoffte schon, der Kerl würde halten und Streit suchen. Doch nachdem der Biker ihn sich genauer angesehen hatte, gab er Gas und fuhr schnell davon.
Rechts voraus entdeckte Reacher ein mit Maschendraht eingezäuntes unbebautes Eckgrundstück. An einer Bushaltestelle in der Seitenstraße hatte sich eine Gruppe von Tagelöhnern versammelt, die dort auf Arbeit warteten, kleine braune Männer mit müden, stoischen Gesichtern. Sie tranken Kaffee am Wagen einer Missionsgesellschaft, der vor einer Art Bürgerzentrum stand. Reacher ging hin und zahlte hundert seiner geraubten Dollar für einen Becher Kaffee. Das sei eine Spende, erklärte er. Die Frauen hinter dem Wagen nahmen das Geld, ohne Fragen zu stellen. Sie hatten in Hollywood schon Verrückteres erlebt, vermutete er.
Der Kaffee war gut. So gut wie im Denny’s. Er trank ihn in kleinen Schlucken und lehnte sich dabei an den Maschendrahtzaun des unbebauten Grundstücks. Das Drahtgeflecht gab leicht nach und stützte seinen Oberkörper wie ein Trampolin. So schwebte er dort – nicht ganz aufrecht, Kaffee im Mund, Nebel im Gehirn.
Dann löste der Nebel sich auf, und er begann nachzudenken.
Hauptsächlich über Neagley und ihren geheimnisvollen Kontaktmann im Pentagon.
Er ist mir verdammt viel schuldig, hatte sie gesagt. Mehr, als ihr euch vorstellen könnt.
Als er seinen Kaffee ausgetrunken und den leeren Pappbecher in den bereitstehenden Müllsack geworfen hatte, sah er einen schwachen Hoffnungsschimmer und die Umrisse eines neuen Plans. Erfolgschancen: ungefähr fifty-fifty. Besser als Roulette.
Um sechs Uhr war er wieder im Motel. Er wollte die anderen wecken, aber in ihren Zimmern meldete sich niemand. Also ging er den Sunset entlang und fand sie im Denny’s. Er gesellte sich zu ihnen und bestellte Kaffee, Pfannkuchen, Schinken, Wurst, Eier, Toast und Marmelade.
»Du hast Hunger«, stellte Dixon fest.
»Wie ein Bär«, sagte er.
»Wo warst du?«
»Spazieren.«
»Konntest du nicht schlafen?«
»Nicht dran zu denken.«
Die Bedienung kam wieder an ihren Tisch und goss ihm Kaffee ein. Er nahm einen großen Schluck. Die anderen schwiegen, stocherten in ihrem Essen herum. Sie sahen müde und niedergeschlagen aus. Vermutlich hatte keiner von ihnen gut oder überhaupt geschlafen.
O’Donnell fragte: »Wann lassen wir die Bombe platzen?«
Reacher antwortete: »Vielleicht gar nicht.«
Niemand sprach.
»Grundregeln«, sagte Reacher. »Über eines müssen wir uns von Anfang an einig sein. Hat Mahmoud die Fla-Raketen schon, ist diese Sache größer als wir. Dann steht zu viel auf dem Spiel. Dann müssen wir die Zähne zusammenbeißen und die zuständigen Stellen alarmieren. Er ist ein Kriegsherr, der den gesamten Nahen Osten in eine Flugverbotszone verwandeln will, oder ein Terrorist, der eine Aktion plant, im Vergleich zu der der elfte September wie ein Tag am Strand aussehen wird. In beiden Fällen müssten wir mit Hunderten oder Tausenden von Toten rechnen. Vielleicht mit Zehntausenden. Zahlen in dieser Größenordnung haben vor unseren eigenen Interessen Vorrang. Einverstanden?«
Dixon und Neagley nickten, ohne ihn anzusehen.
O’Donnell sagte: »Da gibt’s kein Wenn. Wir müssen davon ausgehen, dass Mahmoud die Raketen hat.«
»Nein«, sagte Reacher, »wir müssen davon ausgehen, dass er über die Elektronik verfügt. Ob er die Raketen und Abschussvorrichtungen schon hat, wissen wir nicht. Da stehen die Chancen fifty-fifty. Vielleicht hat er erst die Raketen bekommen, vielleicht erst die Elektronik. Aber er muss beides haben, bevor wir Alarm schlagen.«
»Wie kriegen wir das heraus?«
»Neagley zapft ihren Kerl im Pentagon an. Sie fordert alle Gefälligkeiten ein, die er ihr noch schuldet. Er organisiert draußen in Colorado eine Art Inventur. Fehlen dort Raketen, ist die Sache für uns zu Ende. Ist der Bestand allerdings noch komplett, geht das Spiel weiter.«
Neagley sah auf ihre Uhr. Kurz nach sechs an der Westküste, kurz nach neun im Osten. Im Pentagon wurde seit einer Stunde gearbeitet. Sie klappte ihr Handy auf und tippte eine Nummer ein.
58
Neagleys Kumpel war nicht dumm. Er bestand darauf, sie von außerhalb des Gebäudes anzurufen – und auch nicht mit seinem eigenen Handy. Und er war clever genug, um zu wissen, dass jedes Münztelefon in einer Meile Umkreis um das Pentagon ständig überwacht
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