Troubles (German Edition)
vollkommen absurd vor. Was hätten die Iren davon? So ungebildet, wie sie waren, konnten sie sich damit nur verschlechtern. Es lag doch auf der Hand, dass die Engländer besser wussten, wie man das Land regierte. Wahrscheinlich käme die katholische Kirche ans Ruder, wenn die Engländer nicht mehr dafür sorgten, dass es im Lande fair zuging. Er neigte zu Edwards Einschätzung, dass die republikanische Bewegung einfach nur ein Vorwand für Unruhestifter war, die eher das Streben nach ihrem eigenen Vorteil als echter Patriotismus antrieb. Denn worauf es vor allem anderen ankam, war dies: Die Engländer sorgten für eine
moralische
Autorität, nicht einfach nur eine administrative, und das hier in Irland genauso wie in Indien, in Afrika und anderswo. Auf diesen Stand mussten die Einheimischen oder Eingeborenen erst einmal kommen, bevor ernsthaft von Selbstverwaltung die Rede sein konnte. So sah das jedenfalls der Major.
Aber inzwischen hatte er mehr als genug von Politik zu hören bekommen und beschloss, nicht mit Edward und den anderen zum Kaffee zu gehen. Von anderen Gründen ganz abgesehen war der Kaffee im Majestic auch wirklich abscheulich; Murphy, der Hausdiener, braute ihn nach einem eigenen Rezept. Stattdessen machte der Major sich auf den Weg zu seinem Zimmer, um Tabak zu holen, und begegnete dabei der dicken Köchin, die er am Vormittag zum Weinen gebracht hatte. Mit schweren Schritten kam sie die Treppe heruntergepoltert und keuchte ein wenig von der Anstrengung, mit der sie auf den gefährlich ausgebeulten Teppich achten und zugleich ein Tablett vor sich her balancieren musste. Der Major warf einen Blick auf das Tablett: Es war ein ganzes Mittagessen darauf (Cottage Pie und Apfelkompott), kaum angerührt – beiseitegeschoben, mochte man sich vorstellen, von jemandem, der keinen Appetit hatte. Ihm kam der Gedanke, dass Angela vielleicht krank und dass dies ihr Mittagessen war. Aber da sie am Morgen noch draußen gewesen war, konnte es wohl kaum etwas Ernstes sein. Die Köchin nickte ihm ein wenig beklommen zu und stolperte dann über eine lose Läuferstange. Einen Moment lang sah es aus, als werde sie der Länge nach die Treppe hinabstürzen. Aber irgendwie fing sie sich unter Geschirrklappern und Wasserschwappen doch noch wieder und setzte ihren Abstieg fort, während der Major sich fragte, in welchem Zimmer sich seine bleiche »Verlobte« wohl aufhalten mochte.
Später am Nachmittag – er hatte keine Ruhe, aber er hatte auch nichts zu tun – machte er einen Spaziergang nach Kilnalough, wo er sich auf dem Bahnhof erkundigen wollte, wann die Züge nach Kingstown und Dublin gingen. Unterwegs begegnete er jedoch Sarah, deren Rollstuhl von einem äußerst drallen, üppigen Mädchen mit schwarzem Haar und rosigen Wangen geschoben wurde (»Die irischen Mädchen sind allesamt fett wie Butter«, dachte der Major). Kaum war sie (als »Máire«) vorgestellt, flüsterte sie Sarah eindringlich etwas ins Ohr, und schon im nächsten Augenblick war sie fort, sodass Sarah nun selbst sehen musste, wie sie vorankam.
»Bin ich denn wirklich so angsteinflößend?«
»Sie ist schüchtern. Außerdem hat sie vielleicht geglaubt, ich wollte lieber … na, egal. Soll ich Ihnen von ihr erzählen? Je schneller ich Ihnen sämtliche Klatschgeschichten erzählt habe, desto schneller finden Sie Kilnalough genauso langweilig wie wir anderen hier.«
»Ja dann los.«
»Sie ist die Tochter des reichsten Mannes in Kilnalough – jawohl, noch wohlhabender als Ihr Freund Mr. Spencer (obwohl ich mich ja frage, wie wohlhabend
der
wirklich ist, wenn man sich das Majestic so anschaut) –, des Mühlenbesitzers, genauer gesagt. Sie wussten nicht, dass wir eine Mühle hier haben? Sie wissen aber auch gar nichts! Auf jeder einzelnen Tüte Noonan-Mehl, die in Irland verkauft wird, finden Sie Máires Bild, aufgemacht als Rotkäppchen mit seinem Korb. Ist das nicht bezaubernd?«
»Ich hatte ja gehofft, es wird eher eine Skandalgeschichte.«
»Na gut. Kann ich mich auf Ihre Diskretion verlassen?«
»Selbstverständlich.«
»Sie und Ihr Freund Ripon haben eine Übereinkunft.«
»Eine Übereinkunft? Sie meinen … sentimentaler Natur?«
»Was sie angeht, schon. Bei Ripon würde ich eher geschäftliche Absichten vermuten, aber Sie wissen ja, ich denke von den Leuten immer nur das Schlechteste. Aber aus der Verbindung wird wohl so oder so nichts werden, denn ihre beiden Familien können sich nicht ausstehen.«
»Romeo und Julia.«
»Na, sagen
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