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Trübe Wasser sind kalt

Trübe Wasser sind kalt

Titel: Trübe Wasser sind kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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soll. Und wenn ich Wesley sage, es war Mord, verlangt er Beweise, weil er auch in den Startlöchern ist.«
    Die Erwähnung seines Namens verstörte mich, und ich schaute aus dem Fenster auf nicht mehr schiffbares Wasser, das sich zäh zwischen den großen, dunklen Felsen bewegte. Die Sonne erhellte graue Wolken im Osten, und ich hörte das Geräusch der Dusche im hinteren Teil des Hauses, wo Lucy sich aufhielt. »Klingt, als wäre Dornröschen erwacht«, sagte Marino. »Sollen wir sie in die Stadt mitnehmen?«
    »Ich glaube, sie hat heute irgend etwas mit dem Außenbüro zu erledigen. Wir sollten los«, fügte ich hinzu, denn die Dienstbesprechung in meinem Büro war immer um halb neun. Er half mir, das Geschirr in die Spüle zu stellen. Minuten später stand ich im Mantel, mit meiner Arzttasche und dem Aktenkoffer in der Hand da, als meine Nichte im Flur auftauchte, das Haar noch naß, den Morgenmantel eng um sich geschlungen. »Ich habe geträumt«, sagte sie mit niedergeschlagener Stimme. »Jemand hat uns im Schlaf erschossen. Eine Neunmillimeter gegen den Hinterkopf. Es sollte wie ein Raubüberfall aussehen.«
    »Ach, wirklich?« fragte Marino, derweil er seine fellgefütterten Handschuhe anzog. »Und wo war meine Wenigkeit? Denn so was passiert nicht, wenn ich im Haus bin.«
    »Du warst nicht da.«
    Er sah sie sonderbar an, als er merkte, daß sie es ernst meinte. »Was zum Teufel hast du gestern abend gegessen?«
    »Es war wie im Kino. Und es muß Stunden gedauert haben.« Sie sah mich an, ihre Augen waren verquollen und trüb. »Möchtest du mit mir ins Büro kommen?« fragte ich. »Nein, nein. Ist schon in Ordnung. Das letzte, was ich um mich haben möchte, ist ein Haufen Leichen.«
    »Triffst du dich mit einem der Agenten, die du hier kennst?« fragte ich unsicher.
    »Ich weiß nicht. Wir sollten eine Übung mit Sauerstoffgeräten machen, aber ich glaube nicht, daß mir danach ist, einen Taucheranzug anzuziehen und mich in einem Hallenschwimmbad herumzutreiben, das nach Chlor stinkt. Ich glaube, ich werde hier einfach auf meinen Wagen warten und dann abhauen.« Marino und ich redeten nicht viel während der Fahrt in die Stadt. Die mächtigen Reifen seines Autos frästen sich mit rasselnden Ketten durch die vereisten Straßen. Ich wußte, er machte sich Sorgen um Lucy. So sehr er über sie herzog, er wäre jedem anderen, der dies versuchte, mit seinen großen bloßen Händen an die Gurgel gefahren. Er hatte sie schon als Zehnjährige gekannt. Und Marino hatte ihr beigebracht, einen Fünf-Gang-Transporter zu fahren und eine Waffe zu benutzen.
    »Doc, ich muß dich was fragen«, sagte er endlich, als der Rhythmus der Schneeketten sich vor dem Mauthäuschen verlangsamte. »Meinst du, daß es Lucy gutgeht?«
    »Jeder hat mal Alpträume«, sagte ich.
    »He, Bonita«, rief er der Kassiererin zu, als er ihr durchs Fenster seinen Dienstausweis reichte, »wann unternehmen Sie endlich etwas gegen dieses Wetter?«
    »Schieben Sie nicht mir die Schuld zu, Captain.« Sie gab ihm den Ausweis zurück, und die Schranke ging auf. »Sie haben mir gesagt, Sie sind zuständig.«
    Ihre fröhliche Stimme folgte uns, und ich dachte, wie traurig es doch war, daß wir in einer Zeit lebten, wo sogar Mautkassiererinnen Plastikhandschuhe tragen mußten, um nicht mit der Haut eines anderen in Berührung zu kommen. Ich fragte mich, ob es noch so weit kommen würde, daß wir alle in Kunststoffblasen leben müßten, damit wir nicht am Ebola-Virus oder an Aids starben. »Ich meine nur, daß sie sich ein bißchen seltsam aufführt.« Marino kurbelte das Seitenfenster hoch. Nach einer Pause fragte er: »Wo ist Janet?«
    »Bei ihren Eltern in Aspen, glaube ich.« Er blickte starr geradeaus.
    »Nach alldem, was in Dr. Mants Haus passiert ist, kann ich es Lucy nicht übelnehmen, daß sie ein bißchen durcheinander ist«, fügte ich hinzu.
    »Zum Teufel, normalerweise ist sie diejenige, die Gefahr sucht«, sagte er. »Sie gerät nicht so leicht in Verwirrung. Deshalb läßt das FBI sie beim HRT mitmachen. Man darf einfach nicht in Verwirrung geraten, wenn man sich mit weißen Herrenmenschen und Terroristen abgibt. Man meldet sich nicht krank, bloß weil man einen bösen Traum gehabt hat.«
    Er nahm die Ausfahrt an der 7. Straße und bog in die alten Kopfsteinpflasterstraßen von Shockoe Slip ein und nach links in die 14. Straße, wo ich jeden Tag zur Arbeit ging, wenn ich in der Stadt war. Der Sitz des Chief Medical Examiner von Virginia war ein

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