Trübe Wasser sind kalt
mir, was du sehen mußt.«
Ich brauchte keine vollständige Kundenliste, denn die würde praktisch ganz Virginia umfassen, einschließlich meines Leichenschauhauses und meiner selbst. Aber ich war interessiert an allen detaillierten Rechnungsunterlagen, die angezapft worden waren. Was ich zu sehen bekam, war sonderbar, aber nicht sehr umfangreich. Von fünf Namen war mir nur einer unbekannt. »Weiß jemand, wer Joshua Hayes ist? Er hat ein Postfach in Suffolk«, sagte ich.
»Wir wissen bis jetzt nur, daß er ein Farmer ist«, sagte Janet. »In Ordnung.« Ich machte weiter. »Dann haben wir Brett West, der im Vorstand von CP&L sitzt. Mir fällt sein Titel nicht ein.« Ich sah mir den Ausdruck an. »Vizepräsident«, sagte Janet.
»Er wohnt in einer dieser Backsteinvillen in deiner Nähe, Doc«, sagte Marino. »In Windsor Farms.«
»Er wohnte dort. Wenn Sie seine Rechnungsadresse anschauen«, hob Janet hervor, »dann sehen Sie, daß sie sich letzten Oktober geändert hat. Sieht so aus, als wäre er nach Williamsburg gezogen.«
Es gab noch zwei CP&L-Vorstandsmitglieder, deren Unterlagen von dem illegalen Eindringling aus dem Internet benutzt worden waren. Der eine war der Generaldirektor, der andere der Präsident.
Aber wirklich erschreckte mich die Identität des fünften elektronischen Opfers.
»Captain Green.« Ich blickte Marino verdutzt an. Er verzog keine Miene. »Ich hab keine Ahnung, von wem du sprichst.«
»Er war auf dem Schiffsfriedhof, als ich Eddings' Leiche aus dem Wasser holte«, sagte ich. »Er ist beim Ermittlungsdienst der Navy.«
»Jetzt kapiere ich.« Marinos Ausdruck verfinsterte sich, und Lucys und Janets Hacker-Fall nahm dramatisch andere Formen an.
»Es überrascht mich eigentlich nicht, daß dieser Eindringling sich für die Führungskräfte des Unternehmens interessiert, in das er einbricht, aber ich sehe nicht, wie da die Navy reinpaßt«, sagte Janet.
»Ich bin nicht sicher, ob ich wissen will, wie das zusammenpassen könnte«, sagte ich. »Aber wenn das zutrifft, was Lucy von den Datenleitungen sagt, dann will dieser Hacker wohl letztendlich die Telefondaten bestimmter Leute.«
»Warum?« fragte Marino.
»Um zu schauen, wen sie anrufen.« Ich schwieg kurz. »Die Art von Information, an der beispielsweise ein Reporter interessiert sein könnte.«
Ich stand von meinem Stuhl auf und ging hin und her, während Angst an meinen Nerven zerrte. Ich dachte an Eddings, an Black Talons und an Uran, und mir fiel ein, daß Joel Hands Farm irgendwo in Tidewater war.
»Dieser Mann namens Dwain Shapiro, dem die Bibel gehörte, die du in Eddings' Haus gefunden hast«, sagte ich zu Marino.
»Er ist angeblich bei einem Autoüberfall gestorben. Gibt es mehr Informationen darüber?«
»Im Moment nicht.«
»Dannys Tod ließe sich ähnlich darstellen«, sagte ich. »Es hätten auch Sie sein können. Besonders bei dem Wagentyp. Wenn es ein Anschlag war, wußte der Angreifer vielleicht nicht, daß Dr. Scarpetta kein Mann ist«, sagte Janet. »Vielleicht war der Schütze voreilig und wußte nur, was für ein Auto Sie fahren.« Ich blieb am Kamin stehen, als sie weiterredete.
»Oder vielleicht hat der Mörder nicht gemerkt, daß Danny bloß Danny war, bis es zu spät war. Dann mußte etwas mit ihm geschehen.«
»Warum ich?« sagte ich. »Was könnte das Motiv sein?« Darauf antwortete Lucy. »Offenbar glauben sie, daß du etwas weißt.«
»Sie?«
»Vielleicht die Neuen Zionisten. Der gleiche Grund, warum sie Ted Eddings umbrachten«, sagte sie. »Sie dachten, er wußte etwas oder könnte etwas aufdecken.«
Ich sah meine Nichte und Janet an, und meine Ängste erhielten neue Nahrung.
»Um Gottes Willen«, sagte ich eindringlich zu ihnen. »Arbeitet nicht mehr weiter an dem Fall, ehe ihr nicht mit Benton oder sonst jemandem gesprochen habt. Verdammt! Ich will nicht, daß sie denken, ihr wißt auch etwas.«
Aber ich wußte, daß zumindest Lucy nicht auf mich hören würde. Sobald ich die Tür hinter mir geschlossen hätte, würde sie mit frischen Kräften wieder über die Tastatur herfallen. »Janet?« Ich fixierte die einzige Person, bei der ich auf Vorsicht im Umgang mit der Geschichte hoffen konnte. »Euer Hacker steht möglicherweise mit Leuten in Verbindung, die ermordet wurden.«
»Dr. Scarpetta«, sagte sie, »ich verstehe.«
Marino und ich verließen die UVA, und der goldene Lexus, den wir schon zweimal an diesem Tag gesehen hatten, hielt sich den ganzen Weg zurück nach Richmond hinter
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