Trügerische Ruhe
Kultur bei uns aufgetaucht. Es muß sich um eine Kontamination handeln.«
»Aber ich habe den Abstrich direkt von der Nasenschleimhaut des Patienten genommen.«
»Nun, ich bezweifle, daß die Kontamination in unserem Labor stattgefunden hat. Diese Bakterien fliegen nicht einfach so in einem Krankenhaus herum.«
»Was ist Vibrio fischeri? Wo findet man es normalerweise?«
»Ich habe bei der Mikrobiologin in Bangor nachgefragt, wo sie die Kulturen untersucht haben. Sie sagt, diese Spezies bildet für gewöhnlich Kolonien in wirbellosen Tieren wie Tintenfischen oder Seewürmern. Sie entwickelt eine symbiotische Gemeinschaft. Das Wirtstier bietet den Bakterien einen sicheren Lebensraum.«
»Und was tut Vibrio fischeri im Gegenzug?«
»Es stellt die Energie für das Lichtorgan des Wirtstieres zur Verfügung.«
Es dauerte ein paar Sekunden, bis ihr die Bedeutung dieser Information klar wurde. Dann fragte sie rasch: »Wollen Sie damit sagen, daß diese Bakterien biolumineszent sind?«
»Ja. Der Tintenfisch sammelt sie in einem durchscheinenden Sack. Er benutzt das Leuchten der Bakterien, um Partner anzulocken. So eine Art Neonreklame für Sex.«
»Ich muß aufhören«, unterbrach sie ihn. »Wir reden später weiter.« Sie beendete das Gespräch und eilte in die Cafeteria zurück.
Gary Ryder war wieder einmal bemüht, Ruhe im Saal herzustellen; vergeblich hämmerte er gegen einen Chor von konkurrierenden Stimmen an. Er sah verblüfft zu, als Claire sich zum Rednerpult durchkämpfte.
»Ich muß eine Durchsage machen«, sagte sie. »Ich habe eine Gesundheitswarnung für die Stadt.«
»Das ist nicht gerade von Belang für diese Versammlung, Dr. Elliot.«
»Ich denke doch. Lassen Sie mich bitte sprechen.«
Er nickte und begann mit gesteigerter Dringlichkeit zu hämmern. »Dr. Elliot hat eine Durchsage zu machen!«
Claire nahm ihre Position in der Mitte des Podiums ein. Sie spürte deutlich, daß die Blicke der ganzen Versammlung auf ihr ruhten, als sie noch einmal tief Luft holte und begann.
»Diese Gewalttaten jagen uns allen Angst ein, und wir reagieren, indem wir anklagend auf unsere Nachbarn oder auf die Schule zeigen. Oder auf Leute von auswärts. Aber ich glaube, es gibt eine medizinische Erklärung. Ich habe gerade mit dem Krankenhauslabor telefoniert, und ich habe jetzt eine Vorstellung davon, was tatsächlich geschieht.« Sie hielt den Zettel mit dem Namen des Organismus in die Höhe. »Es ist ein Bakterium namens Vibrio fischeri. Es wurde in Scotty Braxtons Nasenschleim gefunden. Was wir zur Zeit erleben – dieses aggressive Verhalten unserer Kinder –, könnte das Symptom einer Infektion sein. Vibrio fischeri löst möglicherweise eine Form von Meningitis aus, die wir mit unseren üblichen Tests nicht erkennen können. Es könnte auch etwas bewirken, was wir Ärzte eine Keimverschleppung nennen – eine Entzündung der Nebenhöhlen, die sich ins Gehirn ausbreitet –«
»Augenblick mal«, sagte Adam DelRay, indem er aufstand. »Ich praktiziere hier seit zehn Jahren als Arzt. In all der Zeit ist mir eine solche Infektion nicht untergekommen. Dieses – wie heißt es noch?«
» Vibrio fischeri. Man findet es normalerweise nicht bei Menschen. Aber das Labor hat es als einen Organismus identifiziert, mit dem sich mein Patient infiziert hat.«
»Und wo hat sich Ihr Patient diese Infektion geholt?«
»Ich glaube, es war im See. Scotty Braxton und Taylor Darnell sind beide letzten Sommer fast täglich im See geschwommen. Wenn dieser See große Mengen von Vibrio enthält, könnte das ihre Infektion erklären.«
»Ich bin auch letzten Sommer schwimmen gegangen«, sagte eine Frau. »Wie viele andere Erwachsene. Warum haben sich nur die Kinder angesteckt?«
»Es könnte damit zu tun haben, in welchem Teil des Sees man badet. Ich weiß auch, daß es ein ähnliches Infektionsmuster bei amöbischer Meningitis gibt. Das ist eine Hirnentzündung, die von Amöben im Süßwasser verursacht wird. Kinder und Teenager werden am häufigsten infiziert. Wenn sie in dem kontaminierten Wasser schwimmen, nistet sich die Amöbe in ihrer Nasenschleimhaut ein. Von dort gelangt sie durch eine poröse Barriere, das sogenannte Siebbein, ins Gehirn. Erwachsene werden nicht infiziert, weil ihr Siebbein versiegelt ist und so das Gehirn schützt. Kinder haben diesen Schutz nicht.«
»Und wie behandeln Sie diese Infektion? Mit Antibiotika vielleicht?«
»Das wäre mein Vorschlag.«
Adam DelRay stieß ein ungläubiges Lachen
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