Trügerische Ruhe
aus. »Wollen Sie etwa an alle Kinder in der Stadt, die sich auffällig verhalten, Antibiotika ausgeben? Sie haben doch keinen Beweis dafür, daß irgend jemand infiziert ist!«
»Aber ich habe eine positive Kultur.«
» Eine positive Kultur. Und sie stammt nicht aus der Rückenmarksflüssigkeit; wie können Sie also von einer Meningitis sprechen?« Er wandte sich an das Publikum. »Ich kann dieser Stadt versichern, daß es keine Epidemie gibt. Im vergangenen Monat hat die Abteilung für Kinderheilkunde in Two Hills einen Zuschuß erhalten, um eine Erhebung über Blutbilder und Hormonlevels bei Kindern durchführen zu können. Allen jugendlichen Patienten in der Gegend ist Blut abgenommen worden. Eine Infektion hätte sich auf jeden Fall in den Blutbildern zeigen müssen.«
»Von welchem Zuschuß sprechen Sie?«
»Er kam von Anson Biologicals. Es ging um eine Bestätigung der normalen Basiswerte. Die Berichte erhielten keinerlei ungewöhnliche Resultate.« Er schüttelte den Kopf. »Diese Infektionstheorie ist das Verrückteste, was ich je gehört habe, und Sie präsentieren sie ohne die Spur eines Beweises. Sie wissen nicht einmal, ob Vibrio überhaupt im See vorkommt.«
»Ich weiß, daß es so ist«, sagte Claire. »Ich habe sie gesehen.«
»Sie haben Bakterien gesehen? Sie müssen ja außergewöhnlich gute Augen haben!«
» Vibrio fischen ist biolumineszent – es leuchtet. Und ich habe ein solches Leuchten im Locust Lake gesehen.«
»Wo sind denn die Kulturen, die das bestätigen könnten? Haben Sie Wasserproben entnommen?«
»Ich habe die Biolumineszenz gesehen, kurz bevor der See zugefroren ist. Jetzt ist es wahrscheinlich zu kalt, als daß man brauchbare Kulturen anlegen könnte. Und das bedeutet, daß wir auf die Bestätigung warten müssen, bis wir im Frühjahr wieder Proben entnehmen können. Diese Kulturen brauchen Zeit zum Wachsen. Es könnte sein, daß wir die Ergebnisse erst nach Wochen oder gar Monaten bekommen.« Sie hielt inne; es fiel ihr schwer, ihre nächste Empfehlung auszusprechen. »Solange wir den See nicht als Quelle der Infektion ausschließen können«, sagte sie, »schlage ich vor, daß wir unsere Kinder nicht mehr darin baden lassen.«
Der zu erwartende Proteststurm setzte prompt ein.
»Sind Sie verrückt? Wir können so ein Verbot auf keinen Fall aussprechen!«
»Was ist mit den Touristen? Sie werden die Touristen abschrecken!«
»Wie zum Teufel sollen wir da über die Runden kommen?«
Glen Ryder war aufgestanden und schlug mit dem Hammer auf den Tisch. »Ruhe! Ruhe im Saal!« Mit hochrotem Gesicht wandte er sich zu Claire um. »Dr. Elliot, dies ist weder der Ort noch der Zeitpunkt, solch drastischen Maßnahmen vorzuschlagen. Die Angelegenheit muß im Stadtrat diskutiert werden.«
»Es geht hier um die öffentliche Gesundheit«, sagte Claire. »Die Entscheidung liegt bei den Gesundheitsbehörden. Nicht bei den Politikern.«
»Es ist nicht nötig, den Staat einzuschalten.«
»Es ist unverantwortlich, das nicht zu tun.«
Lois Cuthbert sprang auf. »Ich werde Ihnen sagen, was unverantwortlich ist! Nämlich sich dort hinzustellen, ohne jeglichen Beweis, und vor all den Reportern hier im Saal zu behaupten, es gebe irgendwelche tödlichen Bakterien in unserem See. Sie werden diese Stadt noch ruinieren!«
»Wenn ein Gesundheitsrisiko besteht, haben wir keine andere Wahl.«
Lois wandte sich an Adam DelRay. »Was meinen Sie, Dr. DelRay? Besteht ein Gesundheitsrisiko?«
DelRay stieß ein höhnisches Lachen aus. »Das einzige Risiko, das ich erkennen kann, ist, daß wir uns lächerlich machen, wenn wir das hier ernst nehmen. Bakterien, die im Dunkeln leuchten? Können sie vielleicht auch singen und tanzen?«
Claire errötete, während um sie herum alles in Gelächter ausbrach. »Ich weiß, was ich gesehen habe«, beharrte sie.
»Genau, Dr. Elliot! Psychedelische Bakterien.«
Lincolns Stimme übertönte plötzlich das Gelächter. »Ich habe es auch gesehen.« Alles verstummte, als er sich erhob. Überrascht blickte Claire zu ihm hin, und er nickte ihr mit einem gequälten Lächeln zu, als wolle er sagen: Dann gehen wir eben gemeinsam unter.
»Ich war an diesem Abend mit Dr. Elliot dort«, sagte er. »Wir haben beide das Leuchten auf dem See gesehen. Ich kann Ihnen nicht sagen, was es war. Es hat nur ein paar Minuten gedauert, und dann ist es verschwunden. Aber da war ein Leuchten.«
»Ich habe mein ganzes Leben an diesem See gewohnt«, warf Lois Cuthbert ein. »Ich habe
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