Trügerische Ruhe
haben sie alle zerschlagen. Ich werde für mehrere Wochen schließen müssen.«
Sparks versuchte, sie zu beruhigen. »Es dürfte bloß ein paar Tage dauern, diese Fenster ersetzen zu lassen.«
»Und was ist mit meinem Computer? Und dem ruinierten Teppich? Der Schnee ist doch überall eingedrungen. Die Daten müssen ersetzt werden, meine ganze Patientenkartei muß rekonstruiert werden. Ich bin nicht sicher, ob sich das lohnt. Ich weiß nicht einmal, ob ich überhaupt Lust habe, wieder von vorne anzufangen.«
Sie drehte sich um und ging hinaus auf die Straße.
Sie saß zusammengekauert in ihrem Truck, als Lincoln und Sparks kurze Zeit später herauskamen. Die beiden wechselten ein paar Worte, dann überquerte Lincoln die Straße und stieg zu ihr in den Wagen.
Eine Zeitlang schwiegen sie beide. Sie blickte starr geradeaus, und ihr Blick begann sich zu trüben; das wirbelnde Blaulicht von Sparks’ Streifenwagen löste sich zu einem pulsierenden Nebel auf. Mit einer raschen, unwilligen Bewegung wischte sie sich über die Augen. »Ich würde sagen, die Botschaft war laut und unmißverständlich. Die Stadt will mich hier nicht haben.«
»Nicht die ganze Stadt, Claire. Ein Rowdy. Ein einziger Mensch –«
»– der wahrscheinlich für einen Haufen anderer Leute spricht. Am besten packe ich gleich meine Sachen und fahre noch heute nacht fort. Bevor sie noch auf die Idee kommen, mein Haus niederzubrennen.«
Er schwieg.
»Das ist es doch, was Sie denken, oder?« sagte sie, indem sie ihn endlich ansah. »Daß ich meine letzte Chance verwirkt habe, mich hier durchzusetzen?«
»Sie haben es sich heute abend besonders schwer gemacht. Wenn Sie davon sprechen, den See zu sperren, fühlen sich viele Leute bedroht.«
»Ich hätte nichts sagen sollen.«
»Nein, Sie mußten es sagen, Claire. Sie haben das Richtige getan, und ich bin nicht der einzige, der so denkt.«
»Niemand ist gekommen und hat mir die Hand geschüttelt.«
»Ich gebe Ihnen mein Wort. Es gibt noch andere, die sich wegen des Sees Sorgen machen.«
»Aber sie werden ihn nicht sperren, oder? Sie können es sich nicht leisten. Also sperren sie statt dessen mich, indem sie solche Methoden anwenden. Indem sie versuchen, mich aus der Stadt zu jagen.« Sie warf einen Blick auf ihre Praxis. »Und es wird funktionieren.«
»Sie sind noch kein Jahr hier. Es braucht Zeit –«
»Wie lange dauert es, bis man in dieser Stadt akzeptiert wird? Fünf Jahre, zehn? Ein Leben lang?« Sie drehte den Zündschlüssel um, und aus der Heizung schlug ihr ein anfänglicher Schwall kalter Luft entgegen.
»Ihre Praxis können Sie reparieren lassen.«
»Ja, Gebäude kann man leicht wieder ganz machen.«
»Es kann alles ersetzt werden. Die Fenster, der Computer.«
»Und was ist mit meinen Patienten? Ich glaube nicht, daß ich morgen noch irgendwelche haben werde.«
»Das können Sie nicht wissen. Sie haben Tranquility keine Chance gegeben.«
»Wirklich nicht?« Sie richtete sich auf und sah ihn voller Wut an. »Ich habe der Stadt neun Monate meines Lebens gegeben! Jede Minute mache ich mir Gedanken über meine Praxis, frage mich, warum mein Terminkalender immer noch halb leer ist. Warum irgendwer mich so sehr haßt, daß er oder sie anonyme Briefe an meine Patienten schickt. Es gibt hier Leute, die wollen, daß ich scheitere, und sie tun, was sie können, um mich aus der Stadt zu vertreiben. Ich habe bis jetzt gebraucht, um einzusehen, daß es einfach nicht besser werden wird. Tranquility will mich nicht haben, Lincoln. Sie wollen einen zweiten Dr. Pomeroy, oder vielleicht einen Marcus Welby. Aber nicht mich.«
»Es braucht Zeit, Claire. Sie sind von auswärts, und die Menschen müssen sich an Sie gewöhnen; sie müssen die Gewißheit haben, daß Sie sie nicht im Stich lassen werden. Da hat Adam DelRay einen Vorteil. Er ist einer von hier, und alle gehen davon aus, daß er bleiben wird. Der letzte Arzt, der aus einem anderen Staat hierhergekommen ist, war nach achtzehn Monaten wieder weg. Konnte die Winter nicht ertragen. Und sein Vorgänger ist nicht einmal ein Jahr geblieben. Die Stadt glaubt, daß Sie auch nicht durchhalten werden. Sie halten sich zurück und warten ab, ob Sie den Winter überstehen werden. Oder ob Sie aufgeben und der Stadt den Rücken kehren werden, so wie die beiden anderen.«
»Es ist nicht der Winter, der mich vertreibt. Ich kann mit der Dunkelheit und der Kälte zurechtkommen. Womit ich nicht zurechtkomme, ist das Gefühl, daß ich nicht
Weitere Kostenlose Bücher