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Trügerische Ruhe

Trügerische Ruhe

Titel: Trügerische Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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verursacht hatte, sich plötzlich aus seiner Kehle löste und halb aus seinem Nasenloch herausrutschte. Als sie erkannte, was es war, fuhr sie zusammen und stieß einen entsetzten Schrei aus. »Großer Gott!« rief der Staatspolizist. »Was zum Teufel ist das? «
    Der Wurm bewegte sich, zappelte hin und her in einem rosaroten Schaum aus Blut und Schleim. Jetzt rutschte er noch weiter heraus, ringelte und wand sich wie ein glitzerndes Band bei dem Versuch, sich zu befreien. Claire war so schockiert, daß sie nur gebannt zusehen konnte, wie er sich aus der Nase ihres Sohnes herausschlängelte und zu Boden glitt. Dort rollte er sich zusammen; ein Ende hob sich wie der Kopf einer Kobra, die nach Beute Ausschau hält.
    Im nächsten Augenblick schnellte der Wurm davon und verschwand unter der nahen Pritsche.
    »Wo ist er? Fangt ihn!« schrie Claire.
    Max war bereits auf allen vieren und versuchte, unter die Pritsche zu spähen. »Ich sehe ihn nicht –«
    »Wir müssen ihn identifizieren!«
    »Da, ich sehe ihn«, sagte Lincoln, der sich neben Max niedergekniet hatte. »Er bewegt sich noch –«
    Das Heulen einer Sirene, das nach einigen Augenblicken abrupt abbrach, lenkte Claires Aufmerksamkeit ab. Sie drehte den Kopf in die Richtung der sich nähernden Stimmen und des metallischen Ratterns der fahrbaren Liege. Noah atmete jetzt ruhiger, seine Brust hob und senkte sich ohne Krämpfe, sein Puls war schnell, aber regelmäßig.
    Die Rettungssanitäter stürmten in die Zelle. Claire trat zur Seite, und sie machten sich an die Arbeit, legten einen venösen Zugang und verabreichten Sauerstoff.
    »Claire«, sagte Lincoln. »Das solltest du dir mal ansehen.«
    Sie trat auf ihn zu und kniete sich neben ihn, um in den schmalen Zwischenraum unter der Pritsche zu spähen. Die Zelle war spärlich beleuchtet, und es war schwer, im Halbdunkel unter der durchhängenden Matratze irgendwelche Details zu erkennen. In dem Teil, der vom Lichtkegel der Deckenlampe noch ausgeleuchtet wurde, konnte sie ein paar Staubballen und ein zusammengeknülltes Papiertaschentuch ausmachen. Dahinter, ganz dicht an der Wand, bewegte sich etwas – ein leuchtender grüner Strich, der sich in der Dunkelheit zu unwirklich aussehenden Schnörkeln verbog.
    »Er leuchtet, Claire«, sagte Lincoln. »Das ist es, was wir gesehen haben. An diesem Abend am See.«
    »Biolumineszenz«, meinte Max. »Manche Würmer besitzen diese Eigenschaft.«
    Claire hörte das Geräusch einer zuschnappenden Gurtschnalle. Sie drehte sich um und sah, daß die Sanitäter Noah bereits auf der Liege festgeschnallt hatten und ihn durch die Zellentür manövrierten.
    »Er scheint stabil zu sein«, sagte einer der beiden. »Wir bringen ihn in die Notaufnahme des Knox.«
    »Ich werde hinter Ihnen herfahren«, sagte sie. Dann blickte sie zu Max hinüber. »Ich brauche dieses Exemplar.«
    »Fahren Sie ruhig mit Noah«, antwortete Max. »Ich bringe den Wurm in die Pathologie.«
    Sie nickte und folgte ihrem Sohn nach draußen.
    Claire stand in der Röntgenabteilung und betrachtete stirnrunzelnd die Aufnahmen, die an den Filmbetrachter geheftet waren. »Was meinen Sie?« fragte sie.
    »Diese CT-Aufnahmen sehen normal aus«, sagte Dr. Chapman, der Radiologe. »Alle Schnitte scheinen symmetrisch zu sein. Ich erkenne keine Raumforderungen,
    keine Zysten. Kein Hinweis auf eine Gehirnblutung.« Er sah auf, als Dr. Thayer den Raum betrat, der Neurologe, den Claire als behandelnden Arzt für Noah bestimmt hatte. »Wir sehen uns gerade die CT-Aufnahmen an. Ich kann keinerlei Abnormitäten erkennen.«
    Thayer setzte seine Brille auf und begutachtete die Filme. »Ich stimme Ihnen zu«, sagte er. »Und Sie, Claire?«
    Claire vertraute den beiden Männern, aber hier ging es um ihren Sohn, und sie konnte die Verantwortung nicht gänzlich an andere abtreten. Die beiden Ärzte konnten das verstehen, und sie achteten sorgfältig darauf, ihr keine Ergebnisse von Bluttests oder Röntgenaufnahmen vorzuenthalten. Im Augenblick jedoch teilten sie ihre Verblüffung. Sie konnte es in Dr.Chapmans Gesicht sehen, als er die Aufnahmen erneut studierte. Die Röntgenbilder spiegelten sich in seinen Brillengläsern, so daß sie seine Augen nicht sehen konnte, doch sein Stirnrunzeln verriet ihr, daß er auch keine Antwort wußte.
    »Ich kann hier nichts erkennen, was den Anfall erklären würde«, sagte er.
    »Und auch nichts, was gegen eine Rückenmarkspunktion sprechen würde«, ergänzte Thayer. »Angesichts des klinischen

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