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Trügerische Ruhe

Trügerische Ruhe

Titel: Trügerische Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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könnte, was mit ihm geschehen ist. Und jetzt ist die Parasitentheorie auch erledigt.«
    Sie lehnte sich zurück, alle Muskeln schwer vor Erschöpfung, und lachte verwirrt. »Niemand kann es mir erklären. Wie er es fertiggebracht hat, einen Regenwurm einzuatmen. Es ergibt keinen Sinn, Lincoln. Regenwürmer leuchten nicht. Sie benutzen keine Menschen als Wirte. Es muß irgendein Irrtum sein ...«
    »Du mußt nach Hause gehen und dich ausschlafen«, sagte er.
    »Nein, ich brauche Antworten. Ich brauche meinen Sohn. Ich will ihn so wiederhaben, wie er war, bevor sein Vater starb, bevor dieser ganze Schlamassel losging – wie früher, als er mich noch liebte.«
    »Aber er liebt dich, Claire.«
    »Ich bin mir da nicht mehr sicher. Ich habe es schon so lange nicht mehr empfunden. Nicht, seit wir hierher umgezogen sind.« Ohne den Blick von Noah zu wenden, dachte sie daran, wie oft sie über seinen Schlaf gewacht hatte, als er noch ein kleines Kind war, als ihre Liebe zu ihm fast etwas von einer Obsession gehabt hatte. Etwas Verzweifeltes. »Du weißt nicht, wie er früher war«, sagte sie. »Du hast ihn nur von seiner schlimmsten Seite gesehen. Von seiner häßlichsten Seite. Ein Verdächtiger in einem Kriminalfall. Du kannst dir nicht vorstellen, wie zärtlich und liebevoll er als kleines Kind war. Er war mein bester Freund ...« Sie hob die Hand und wischte sich die Augen, dankbar für die Dunkelheit. »Ich warte nur darauf, daß der Junge da zu mir zurückkommt.«
    Lincoln stand auf und ging auf sie zu. »Ich weiß, daß du in ihm deinen besten Freund siehst«, sagte er. »Aber er ist nicht dein einziger Freund.«
    Sie erlaubte ihm, die Arme um sie zu legen und ihre Stirn zu küssen, doch gleichzeitig dachte sie: Ich kann dir nicht mehr vertrauen oder mich auf dich verlassen. Ich habe jetzt niemanden mehr außer mir selbst. Und meinem Sohn.
    Er schien die Schranke zu spüren, die sie zwischen ihnen errichtet hatte, und ließ sie langsam los. Schweigend ging er aus dem Zimmer.
    Sie blieb die ganze Nacht an Noahs Bett und döste auf ihrem Stuhl vor sich hin, schreckte aber immer wieder auf, wenn eine Schwester hereinkam, um Fieber zu messen oder seinen Puls zu fühlen.
    Als sie die Augen wieder öffnete und in das verblüffend helle Licht der Morgendämmerung blickte, stellte sie fest, daß ihre Gedanken sich irgendwie kristallisiert hatten. Noah schlief ruhig. Obwohl es auch ihr gelungen war, ein wenig Schlaf zu finden, hatte ihr Gehirn keine Pause gemacht. Es hatte die ganze Nacht gearbeitet, hatte versucht, hinter das Rätsel des Regenwurms zu kommen, der auf irgendeine Weise in den Körper ihres Sohnes gelangt war. Und jetzt, als sie am Fenster stand und die Schneelandschaft betrachtete, fragte sie sich, wie sie etwas so Offensichtliches hatte übersehen können.
    Vom Stationszimmer aus rief sie das EMMC an und verlangte Dr. Clevenger in der Pathologie.
    »Ich habe gestern abend versucht, Sie anzurufen«, sagte er. »Ich habe eine Nachricht auf Ihrem Anrufbeantworter hinterlassen.«
    »War es wegen Warren Emersons ELISA-Test? Deswegen rufe ich Sie nämlich an.«
    »Ja, wir haben die Ergebnisse. Ich muß Sie leider enttäuschen; das Resultat für Taenia solium ist negativ.«
    Sie schwieg einen Moment. »Ich verstehe.«
    »Das scheint Sie nicht sehr zu überraschen. Im Gegensatz zu mir.«
    »Könnte das Testergebnis falsch sein?«
    »Das ist möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich. Zur Sicherheit haben wir auch bei diesem anderen Jungen, Taylor Darnell, einen ELISA-Test durchgeführt.«
    »Und der war auch negativ.«
    »Ach, das wußten Sie schon?«
    »Nein, ich habe geraten.«
    »Nun, das Kartenhaus, über das wir neulich gesprochen haben, ist gerade eingestürzt. Keiner der beiden Patienten weist Antikörper gegen den Schweinebandwurm auf. Ich habe keine Erklärung dafür, warum diese Jugendlichen durchdrehen. Ich weiß, daß es keine Zystizerkose ist. Und ich kann mir auch nicht erklären, wie Mr. Emerson diese Zyste im Gehirn bekommen hat.«
    »Aber Sie glauben, daß es sich um eine Art Larve handelt?«
    »Entweder das, oder ein verdammt merkwürdiges Artefakt, das beim Einfärben entstanden ist.«
    »Könnte es ein anderer Parasit sein – ein anderer als Taenia? «
    »Welche Art Parasit?«
    »Einer, der über die Nasenöffnungen in den Wirt eindringt. Er könnte sich in einer der Nebenhöhlen zusammenkringeln und sich dort auf unbestimmte Zeit verstecken. Bis er ausgestoßen wird oder abstirbt. Wenn er

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