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Trügerische Ruhe

Trügerische Ruhe

Titel: Trügerische Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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und Luft unterscheiden und die Bereiche unterschiedlicher Dichte auf dem Bildschirm darstellen.
    »Sehen Sie die Unschärfe hier?« fragte Chapman und wies auf das Bewegungsartefakt.
    »Wir können ihn nicht ruhighalten, es sei denn, wir geben ihm eine Narkose.«
    »Nun, das ist eine Möglichkeit.«
    Claire schüttelte den Kopf. »Sein Bewußtsein ist ohnehin schon getrübt. Ich will im Moment keine Narkose riskieren. Ich möchte bloß ausschließen, daß Massenverschiebungen vorliegen, bevor ich die Lumbalpunktion mache.«
    »Glauben Sie wirklich, eine Enzephalitis könnte diese Symptome erklären?« Chapman sah sie an, und sie erkannte den Zweifel in seinen Augen. In Baltimore war sie eine geachtete Hausärztin gewesen. Aber hier mußte sie sich immer noch bewähren. Wie lange würde es noch dauern, bis ihre Kollegen aufhörten, ihr Urteil in Frage zu stellen, bis sie lernten, ihr zu vertrauen?
    »Ich habe im Moment keine andere Wahl«, sagte sie. »Die ersten Tests auf Methamphetamin und PCP waren negativ. Aber Dr. Forrest ist überzeugt davon, daß es sich um eine organische Psychose handelt und nicht um etwas Psychisches.«
    Chapman war von Dr. Forrests klinischen Fähigkeiten offenbar nicht sehr beeindruckt. »Die Psychiatrie ist wohl kaum eine exakte Wissenschaft.«
    »Aber ich stimme mit ihm überein. Der Junge hat in den letzten paar Tagen eine beunruhigende Persönlichkeitsveränderung durchgemacht. Wir müssen eine Infektion ausschließen.«
    »Wie ist der Wert für die weißen Blutkörperchen?«
    »Dreizehntausend.«
    »Etwas hoch, aber auch nicht übermäßig bemerkenswert. Und das Differentialblutbild?«
    »Die Eosinophile sind stark erhöht. Weit über normal sogar, bei dreißig Prozent.«
    »Aber er leidet doch an Asthma, nicht wahr? Das könnte die Erklärung sein. Es ist eine Form von allergischer Reaktion.«
    Claire mußte ihm recht geben. Die Eosinophile waren eine Unterart der weißen Blutkörperchen, die sich gewöhnlich infolge einer allergischen Reaktion stark vermehrten, auch bei Asthma. Ein hoher Eosinophilwert konnte auch durch eine Reihe anderer Krankheiten verursacht werden, wie etwa Krebs, Parasitenbefall oder Immunschwäche. Bei manchen Patienten konnte überhaupt keine bestimmte Ursache festgestellt werden.
    »Was passiert denn jetzt?« fragte der State Trooper, der die Prozedur mit wachsender Ungeduld beobachtet hatte. »Können wir ihn ins Jugendgefängnis bringen oder nicht?«
    »Wir müssen noch mehr Tests machen«, erklärte Claire.
    »Der Junge ist möglicherweise ernstlich krank.«
    »Oder er tut nur so. So scheint’s mir jedenfalls.«
    »Und wenn er doch krank ist, könnte man ihn tot in seiner Zelle finden. Ich würde so einen Fehler nicht machen wollen, Sie vielleicht?«
    Wortlos wandte der Cop sich ab und starrte seinen Gefangenen durch das Sichtfenster des CT-Raums an.
    Taylor lag auf dem Rücken, seine Hand- und Fußgelenke waren gesichert. Sein Kopf wurde von der CT-Röhre verdeckt, doch sie konnten sehen, wie seine Füße sich bewegten, während er sich gegen die Fesseln sträubte. Jetzt kommt der schwerste Teil, dachte sie. Wie können wir ihn lange genug in der Position für die Lumbalpunktion festhalten?
    »Ich kann es nicht riskieren, eine Infektion des Zentralnervensystems zu übersehen«, meinte Claire. »Bei den erhöhten Leukozyten und den mentalen Veränderungen habe ich keine andere Wahl, als eine Spinalpunktion durchzuführen.«
    Chapman schien endlich einverstanden zu sein. »Man kann es wohl wagen, soweit ich es von den Aufnahmen her beurteilen kann.«
    Sie fuhren Taylor aus der Röntgenabteilung heraus und brachten ihn in ein Einzelzimmer. Zwei Schwestern und ein Pfleger waren nötig, um den sich sträubenden Jungen in das Bett zu heben.
    »Drehen Sie ihn um«, sagte Claire. »Embryonalstellung.«
    »Er wird das nicht ruhig über sich ergehen lassen.«
    »Dann müssen Sie sich eben auf ihn setzen. Wir brauchen diese Punktion.«
    Gemeinsam rollten sie Taylor auf die Seite, mit dem Rücken zu Claire. Der Pfleger beugte die Hüfte des Jungen und drückte seine Knie mit aller Kraft nach oben. Eine der Schwestern zog die Schultern nach vorne. Taylor schnappte nach ihrer Hand, fast hätte er sie in den Finger gebissen.
    »Passen Sie auf, er beißt!«
    »Ich geb mir Mühe!«
    Claire mußte schnell arbeiten; viel länger konnten sie den Jungen nicht fixieren. Sie hob das OP-Hemd an und machte seinen Rücken frei. Durch die gebeugte Embryonalstellung zeichneten

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