Trügerische Ruhe
dem Plan?«
»Elwyn Clyde. Schußwunde am Fuß nachsehen.«
Elwyn. Claire faßte sich an den Kopf, schon in Erwartung der Kopfschmerzen, die sie bekommen würde. »Haben wir Raumspray da?«
Vera lachte und knallte eine Dose Tannenduftspray auf den Schreibtisch. »Wir sind auf Elwyn vorbereitet. Nach ihm sind Sie frei für den Rest des Tages. Das trifft sich auch gut, weil Sie heute nachmittag einen Termin mit Dr. Sarnicki haben. Er hat gerade vorhin angerufen.«
Dr. Sarnicki war der ärztliche Direktor des Krankenhauses. Das war das erste, was Claire von irgendeinem Treffen hörte.
»Hat er gesagt, worum es geht?«
»Er sagte was von einem Brief, den er bekommen hätte. Er meinte, es sei dringend.«
Veras Blick ging plötzlich zum Straßenfenster, und sie sprang auf. »Verdammt noch mal, da sind sie wieder!« rief sie und lief blitzschnell zur Seitentür hinaus.
Claire blickte aus dem Fenster und sah, wie Vera mit ihren blitzenden Ohrringen und Armreifen, die Faust in Richtung zweier Jungen mit Skateboards schüttelte. Einer der Jungen schrie jetzt zurück; seine Stimme überschlug sich in jugendlicher Empörung.
»Wir haben Ihrem dämlichen Auto nichts getan!«
»Und von wem stammt dann der Riesenkratzer an der Tür, hm? Von wem?« wollte Vera wissen.
»Warum geben Sie immer uns die Schuld? Immer auf die Kleinen, ist doch wahr!«
»Wenn ich euch hier noch einmal sehe, rufe ich die Polizei!«
»Das ist ein öffentlicher Gehweg! Wir haben das Recht, hier Skateboard zu fahren!«
Ein Klopfen an der Glasscheibe nahm Claires Aufmerksamkeit in Anspruch. Mitchell Groomes kummervolles Gesicht sah sie durch das Rezeptionsfenster an.
Sie schob die Scheibe zur Seite. »Mr.Groome, ich spreche nicht mit Reportern.«
»Ich wollte Ihnen nur etwas sagen.«
»Wenn es wegen Taylor Darnell ist, können Sie sich mit Dr. Adam DelRay unterhalten. Er ist jetzt der Arzt des Jungen.«
»Nein, es ist wegen des Autos Ihrer Sprechstundenhilfe. Das mit dem Kratzer. Diese Jungen da draußen waren es nicht.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich habe gestern gesehen, wie es passiert ist. Eine alte Frau hat den Wagen im Vorbeifahren gestreift. Ich nahm an, sie würde eine Nachricht an der Windschutzscheibe hinterlassen. Offensichtlich hat sie das aber nicht getan, und ich glaube, Ihre Sprechstundenhilfe hat bereits ihre eigenen Schlüsse gezogen.«
Er blickte aus dem Fenster, wo der Streit immer noch tobte, und schüttelte den Kopf. »Warum behandeln wir Kinder immer wie eine feindliche Macht?«
»Weil sie sich so oft wie Außerirdische benehmen?«
Er schenkte ihr ein mitfühlendes Lächeln. »Sie sprechen wie jemand, der selbst mit einem Außerirdischen zusammenwohnt.«
»Vierzehn Jahre alt. Sie können es wahrscheinlich an all den grauen Haaren auf meinem Kopf ablesen.« Sie betrachteten einander für einen Moment durch das Fenster.
»Sind Sie sicher, daß Sie nicht mit mir reden wollen?« fragte er. »Es wäre nur für ein paar Minuten.«
»Ich kann nicht über meine Patienten sprechen. Es ist vertraulich.«
»Nein, ich werde keine speziellen Fragen über Taylor Darnell stellen. Ich bin eher an allgemeinen Informationen über die Jugendlichen dieser Stadt interessiert. Sie sind die einzige Ärztin in Tranquility, und ich schätze, Sie haben eine ziemlich gute Vorstellung davon, was in dieser Gegend so vorgeht.«
»Ich bin erst acht Monate in der Stadt.«
»Aber Sie würden es doch erfahren, wenn es unter den Jugendlichen hier Fälle von Drogenmißbrauch gäbe. Das könnte das Verhalten des Jungen erklären.«
»Ich glaube kaum, daß ein isolierter Vorfall, so tragisch er auch gewesen sein mag, bedeutet, daß diese Stadt ein Drogenproblem hat.« Ihr Blick richtete sich plötzlich auf das Geschehen vor dem Fenster. Die Jungen mit den Skateboards waren verschwunden. Der Briefträger war gekommen und unterhielt sich mit Vera. Er übergab ihr einen Arm voll Post. War in diesem Stapel ein Brief von Paul Darnells Anwalt?
Groome sagte etwas, und sie stellte fest, daß er näher gerückt war; er lehnte sich praktisch durch das geöffnete Rezeptionsfenster.
»Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen, Dr. Elliot. Sie handelt von einem makellosen kleinen Städtchen namens Flanders in Iowa. Viertausend Einwohner. Ein sauberer, anständiger Ort, wo jeder jeden kennt. Die Art Leute, die zum Gottesdienst gehen und dem Elternbeirat angehören. Nach vier Morden – alle von Teenagern begangen – waren die geschockten Einwohner von
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