Trügerische Ruhe
zurück. »›Typisch für eine Frau‹?«
»Ich sage es so, wie ich es sehe. Männer sind in solchen Dingen einfach direkter.«
Sarnicki warnte: »Adam, das bringt doch nichts.«
»Ich denke schon, daß es etwas bringt«, sagte Claire. »Es zeigt uns deutlich, wie er über Frauen denkt. Wollen Sie andeuten, daß wir alle Lügnerinnen sind, Adam?«
»Also, das bringt nun wirklich nichts«, wiederholte Sarnicki.
»Sie dreht mir das Wort im Mund herum! Ich habe diese Briefe nicht abgeschickt, und Paul auch nicht! Warum sollten wir auch? Es hat sich doch schon in der ganzen Stadt herumgesprochen.«
»Ich erkläre diese Sitzung hiermit für beendet!« rief Sarnicki, indem er ruheheischend auf den Tisch klopfte.
In diesem Moment hörten sie alle die Durchsage über die Lautsprecheranlage des Krankenhauses. Sie war durch die geschlossenen Türen des Konferenzzimmers kaum vernehmbar.
»Blauer Code, Intensivstation! Blauer Code, Intensivstation!«
Augenblicklich sprang Claire auf. Sie hatte einen Schlaganfallpatienten auf Intensiv.
Sie stürzte aus dem Sitzungszimmer und lief auf das Treppenhaus zu. Die Intensivstation war ein Stockwerk höher. Zu ihrer Erleichterung stellte Claire gleich fest, daß der Alarm nicht wegen ihres Patienten ausgelöst worden war. Die Krise war in Raum sechs, vor dessen Tür sich bereits das Personal drängte.
Sie machten Platz für Claire, und sie trat ein.
Das erste, was ihr auffiel, war der Geruch von Rauch und versengten Haaren. Er kam von dem massigen, rußverschmierten Mann, der auf dem Bett lag. McNally von der Unfallstation stand gebückt hinter dem Kopf des Patienten und versuchte vergeblich, einen Endotrachealtubus einzuführen. Claire warf einen Blick auf den Herzmonitor.
Er zeigte eine Sinusbradykardie an. Das Herz des Patienten schlug, aber nur sehr langsam.
»Hat er einen Blutdruck?« fragte sie.
»Ich glaube, ich habe einen systolischen von neunzig«, sagte eine Schwester. »Er ist so korpulent, daß ich Probleme habe, überhaupt etwas zu hören.«
»Ich kriege ihn nicht intubiert!« rief McNally. »Los, noch mal die Maske!«
Der MTA legte eine Atemmaske auf das Gesicht des Patienten und pumpte Sauerstoff in seine Lungen.
»Sein Hals ist so kurz und fett, daß ich nicht mal die Stimmbänder sehen kann«, meinte McNally.
»Der Anästhesist wurde zu Hause angerufen, er ist bereits unterwegs«, sagte eine Schwester. »Soll ich auch einen Chirurgen rufen?«
»Ja, rufen Sie ihn. Der hier wird eine Not-Tracheostomie brauchen.« Er sah Claire an. »Es sei denn, Sie trauen sich zu, ihn zu intubieren.«
Sie bezweifelte das, doch sie war bereit, es zu versuchen. Mit pochendem Herzen ging sie um das Bett herum zum Kopf des Patienten und wollte gerade das Laryngoskop in seinen Mund einführen, als sie bemerkte, daß die Augenlider des Mannes zuckten.
Sie richtete sich überrascht auf. »Er ist bei Bewußtsein!«
»Was?«
»Ich glaube, er ist wach!«
»Warum atmet er dann nicht?«
»Beuteln Sie ihn noch mal«, befahl Claire und trat zur Seite, um den MTA wieder heranzulassen. Während die Maske wieder aufgesetzt und weiterer Sauerstoff in die Lungen des Mannes gepumpt wurde, überprüfte Claire rasch noch einmal die Situation. Die Augenlider des Mannes zuckten tatsächlich, als ob er versuchte, die Augen zu öffnen. Und doch atmete er nicht, und seine Gliedmaßen waren weiterhin schlaff.
»Was ist passiert?« fragte sie.
»Kam heute nachmittag über die Notaufnahme rein«, erklärte McNally »Er ist bei der Freiwilligen Feuerwehr und ist am Brandort zusammengebrochen. Wir wissen nicht, ob es eine Rauchvergiftung oder ein Herzanfall war – man mußte ihn aus dem Gebäude zerren. Wir haben ihn hier aufgenommen wegen oberflächlicher Verbrennungen und Verdacht auf Myokardinfarkt.«
»Es ging ihm eigentlich gut hier oben«, warf eine Schwester von der Intensivstation ein. »Er hat sogar vor kurzem noch mit mir gesprochen. Ich habe ihm seine Dosis Gentamicin gegeben, und plötzlich wurde er bradykard. Und dann habe ich gemerkt, daß seine Atmung aussetzte.«
»Warum bekommt er Gentamicin?« fragte Claire.
»Die Verbrennungen. Eine der Wunden war ziemlich kontaminiert.«
»Also, wir können ihn ja nicht die ganze Nacht lang beuteln«, sagte McNally. »Haben Sie den Chirurgen gerufen?«
»Jawohl«, antwortete eine Schwester.
»Dann wollen wir ihn für die Tracheostomie vorbereiten.«
Claire sagte: »Er braucht vielleicht gar keine, Gordon.«
McNally sah skeptisch
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