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Trügerische Ruhe

Trügerische Ruhe

Titel: Trügerische Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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schlimmer sein, wenn die Wirkung der Droge nachläßt. Wenn er aufwacht und sich erinnert, was er seiner Mutter angetan hat. Seiner Schwester.« Sie hielt einen Moment inne und hoffte, daß ihre Worte die dicken Schädel dieser Jungen durchdringen würden. »Seine Mutter ist tot. Seine Schwester muß sich noch von ihren schweren Verletzungen erholen. Für den Rest ihres Lebens wird Kitty in ihrem Bruder den Jungen sehen, der versucht hat, sie zu töten. Diese Droge hat Scottys Leben zerstört. Und Taylors. Ihr müßt mir sagen, woher er sie hat.«
    Beide jungen starrten auf den Couchtisch, und sie konnte nur ihre Stoppelköpfe sehen. Gelangweilt griff J. D. nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein. Auf dem Einkaufskanal schmetterte eine Verkäuferstimme ein Loblied auf einen echten handgemachten Smaragd-Anhänger mit einer vierzehnkarätigen Goldkette. Hochmodische Eleganz für nur neunundsiebzig Dollar neunundneunzig.
    Claire riß J. D. die Fernbedienung aus der Hand und schaltete wütend den Apparat aus. »Da ihr mir offenbar nichts zu sagen habt, müßt ihr wohl mit Chief Kelly reden.«
    Eddie wollte etwas sagen, blickte dann zu seinem älteren Bruder hinüber und verstummte sofort wieder. Erst jetzt erkannte Claire den wesentlichen Unterschied zwischen den beiden. Eddie hatte Angst vor J. D.
    Sie legte ihre Karte auf den Couchtisch. »Solltet ihr es euch anders überlegen, dann wißt ihr, wie ihr mich erreichen könnt«, sagte sie, indem sie Eddie ansah. Dann verließ sie das Haus.
    Als sie die Verandastufen hinunterging, kamen die zwei Pitbulls auf sie zugeschossen, bis sie von ihren Ketten unsanft gebremst wurden. Jack Reid spaltete Feuerholz im Hof; seine Axtschläge hallten von einem Baumstumpf wider. Er machte keinerlei Anstalten, die Tiere zu besänftigen; vielleicht genoß er das Spektakel, wie sie die ungebetene Besucherin in Angst und Schrecken versetzten. Claire ging weiter über den Hof, vorbei an dem rostigen Trockner und einem Auto, dessen Motor herausgerissen war. Als sie an Reid vorbeikam, ließ er die Axt sinken und sah sie an. Schweißperlen standen auf seiner Stirn, und sein heller Schnurrbart glänzte feucht. Er lehnte sich auf den Axtgriff, die Klinge auf den Baumstumpf gestützt, und aus seinen Augen sprach eine schäbige Genugtuung.
    »Hatten Ihnen wohl nichts zu sagen, was?«
    »Ich glaube, sie haben eine ganze Menge zu sagen. Es wird alles irgendwann herauskommen.«
    Die Hunde bellten wieder erregt; ihre Ketten scheuerten an der Rinde des Ahorns. Sie warf ihnen einen Blick zu und sah dann wieder Reid an, dessen Hände den Axtgriff fest umklammert hielten.
    »Wenn Sie Ärger suchen«, sagte er, »dann sehen Sie am besten unter Ihrem eigenen Dach nach.«
    »Was?«
    Er grinste häßlich, dann hob er die Axt und ließ sie mit Schwung auf einen Holzklotz niederfahren.
    Später am Nachmittag war Claire in ihrer Praxis, als der Anruf kam. Sie hörte das Telefon im Vorzimmer klingeln, und dann erschien Vera in der Tür.
    »Sie möchte mit Ihnen sprechen. Sie sagt, Sie seien heute bei ihr zu Hause gewesen.«
    »Wer ist es denn?«
    »Amelia Reid.« Sofort nahm Claire den Hörer ab. »Hier ist Dr. Elliot.«
    Amelias Stimme klang gedämpft. »Mein Bruder Eddie – er hat mich gebeten, Sie anzurufen. Er traut sich nicht, es selbst zu tun.«
    »Und was möchte Eddie mir sagen?«
    »Er will, daß Sie Bescheid wissen über –« Eine Pause entstand, als habe das Mädchen sich unterbrochen, um zu horchen. Dann kam ihre Stimme wieder, aber so leise, daß sie kaum zu verstehen war. »Er sagte, ich soll Ihnen von den Pilzen erzählen.«
    »Welchen Pilzen?«
    »Sie haben alle davon gegessen. Taylor und Scotty und meine Brüder. Die kleinen blauen Pilze im Wald.«
    Lincoln Kelly stieg aus seinem Truck aus, und sein Stiefel landete auf einem Zweig. Das Knacken des toten Holzes schallte wie ein Gewehrschuß über den stillen See. Es war später Nachmittag, der Himmel war bleiern von Regenwolken, das Wasser glatt wie schwarzes Glas. »Ein bißchen spät im Jahr für eine Pilzsuche, Claire«, meinte er trocken.
    »Das kann uns doch nicht erschüttern.« Sie holte zwei Rechen von der Ladefläche ihres Transporters und reichte einen davon Lincoln. Er nahm ihn mit sichtlichem Widerwillen.
    »Angeblich sind sie knapp hundert Meter flußaufwärts von den Boulders«, sagte sie. »Sie wachsen da unter ein paar Eichen. Kleine blaue Pilze mit dünnen Stielen.«
    Sie drehte sich um und schaute in Richtung Wald.

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