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Trügerischer Friede

Trügerischer Friede

Titel: Trügerischer Friede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Vorhang zur Seite, um das Treiben in den Straßen verfolgen zu können. »Dein Vater hat dich erzogen, als habe er gewusst, dass du eines Tages die Kabcara von Tarpol sein wirst.«
    Er beobachtete, wie eine Mutter mit ihren drei Kindern
    vom Markt zurückkam, den großen Weidenkorb gefüllt mit Brot und Mehl. Die Kleinen schleppten voller Stolz dicke Kohlköpfe und überboten sich gegenseitig, wer sie länger in die Höhe stemmen konnte. Die Frau lachte, sie freute sich über ihren Eifer. Der Laut rührte ihn und brachte das Eis der Gleichgültigkeit zum Schmelzen.
    Eines der Kinder, ein Junge von zehn Jahren, hob den Kohlkopf hoch, drehte sich um die eigene Achse und schaute zufällig nach oben; dabei entdeckte er Lodriks Gesicht hinter dem Fenster. Erschrocken ließ er den Kohlkopf fallen, der daraufhin die Straße entlang rollte. Die Mutter wollte schimpfen, aber der Junge deutete aufgeregt zum Fenster. Lodrik hörte, wie er von einem »Geist« sprach, den er gesehen habe.
    Lodrik ließ den Vorhang zurückgleiten, und sein Kopf zuckte nach hinten, damit er nicht erkannt wurde. Dabei unterdrückte er den Impuls, zusätzlich die Kapuze seiner Robe hochzuziehen. Niemand sollte ihn sehen.
    Norina hatte mitbekommen, was vorgefallen war. »Nun, hast du einen Ratschlag für mich?«, fragte sie, um ihn abzulenken, da sie um seine Empfindlichkeit wusste.
    Er sank zurück an die weiche Lehne. »Sie werden so sein wie damals, als ich als junger Kabcar versuchte, die ersten Änderungen herbeizuführen. Und sie werden versuchen, wie weit sie bei dir gehen können, bis du ihren Forderungen nicht mehr nachgibst. Jetzt, wo Tarpol sich erholt, setzen sie alles daran, ihren Anteil zu sichern.«
    »Sie bekommen ihren Anteil. Aber nicht so, wie sie es sich vorstellen. Bald sind die einst so mächtigen Männer und Frauen nicht mehr als reiche Männer und Frauen. Ohne besondere Privilegien, ohne besondere Rechte, ausgestattet mit
    jeweils fünfzig Hektar Land, für das sie sorgen müssen.« Sie deutete auf den Schreibtisch, wo sie die Entwürfe gelagert
    hatte. »Entweder machen sie sich die Hände selbst schmutzig, oder sie stellen Leute gegen Lohn an. Die Zeit der Ausbeutung ist vorbei.«
    »Ich habe gelesen, dass alles andere Ackerland an die Dörfer, Höfe und Städte fallen soll.« Er zog die Handschuhe fester. »Jeder leibeigene Bauer wird frei sein und einhundert Waslec bekommen, um sich Saatgut und Tiere zu kaufen. Ist das richtig?«
    »Ja. In Tarpol beginnt eine neue Ära, deren Wirkung nicht mehr rückgängig zu machen sein wird.« Sie ging zu ihm, setzte sich ihm gegenüber. Dabei blieb sie im satten Schein der Sonne, freute sich über die Wärme auf ihrer Haut und das Licht, während der Schatten um ihn herum an Tiefe und Schwärze zu gewinnen schien, als wollte er Lodrik in sich einschließen und vor den Gestirnen bewahren. Es war der Augenblick, in dem ihr in aller Deutlichkeit auffiel, wie sehr sich Lodrik verändert hatte. Nicht nur äußerlich. Nachdem sie aus ihrer Jahre währenden Amnesie erwacht war, hatte man ihr berichtet, dass er sich mehr und mehr zu einem selbstbewussten Herrscher entwickelt hatte, bis ihn Govan und Zvatochna im Steinbruch zu töten versucht hatten.
    Wie er den Anschlag überlebt hatte, blieb ein Rätsel. Seine Veränderung sprach nicht dafür, dass es ein Wunder Ulldraels gewesen war. Sie fragte sich immer wieder, was an jenem Tag geschehen war, doch sie drängte ihn nicht, es ihr zu erzählen.
    »Ich werde aus Ulsar fortgehen, Norina«, kam es düster aus dem Schatten. »Ich ertrage die Blicke derer nicht, die
    mich anschauen.« Lodrik sah, dass sie ihm widersprechen
    wollte. »Du hast gehört, dass mich der Junge voller Furcht
    einen Geist genannt hat?«, setzte er rasch seine Rede fort. »Geist ist ein harmloser Ausdruck, dem bald schlimmere folgen würden, bliebe ich in der Hauptstadt und bekämen mich noch mehr Menschen zu Gesicht. Früher oder später würde das Gerede auch auf dich zurückfallen.« Er hob die Hand und deutete auf seine verhärmten Züge. »Es ist der Preis, den ich dafür zahle, dass ich den Anschlag meines eigenen Sohnes
    nicht mit dem Leben begleichen musste. Die Magie in mir hat nicht gestattet, dass ich sterbe, aber inmitten des Lebens gehe ich zu Grunde.«
    Norinas braune Augen sprühten. »Du hast mir versprochen, mich zu unterstützen, Lodrik. Deswegen habe ich eingewilligt, den Titel der Kabcara anzunehmen. Ich brauche deinen Rat, deine Erfahrung.« Sie fasste

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