Trügerischer Friede
weiter.
Aljascha spürte, dass ihr etwas Warmes über den Mund und das Kinn hinablief. Sie wankte zum Spiegel über der Anrichte, um sich zu betrachten. Sie war kalkweiß im Gesicht; ein dünnes, tiefrotes Rinnsal sickerte aus ihrem linken Nasenloch und zeichnete eine feuchte Linie über ihre blass vornehme Haut. Sie musste sich mit beiden Händen an der Anrichte festhalten, sonst wäre sie zusammengebrochen. Endlich ließ das Augenflimmern nach, sie wischte das Blut ab, schöpfte nach Luft.
»Mutter?«, hörte sie Vahidin rufen. »Ich habe die Scheite in den Ofen gestellt. Kommst du, das Feuer anzünden, oder soll ich . .«
»Nein, warte«, rief sie zurück. »Wir machen das Wasser gemeinsam warm.« Aljascha verließ den Salon, um nach ihrem Sohn zu sehen, und beschloss, seine Ausbildung stärker voranzutreiben. Als sie ihn nackt vor der Wanne stehen sah, kam es ihr so vor, als sei er schon wieder gewachsen. Kontinent Ulldart, Königreich Türis, die freie Stadt Ammtara, Spätsommer im Jahr 1 Ulldrael des Gerechten (460 n. S.)
Und wirst du weiterhin als Vorsitzender der Versammlung der Wahren immer das Wohl der Stadt über deine eigenen Belange stellen, deine Entscheidungen nach bestem Wissen und Gewissen fällen sowie Ammtara und ihre Bewohner vor Schaden bewahren?«
Die getragenen Worte brachten Pashtak dazu, ergriffen zu girren, bevor er den breiten Mund öffnete, in dem spitze, lange Zähne zum Vorschein kamen, und antwortete: »Ich gelobe bei den Göttern, dass ich Ammtara mit meinem Leben verteidigen werde, notfalls sogar allein und unbewaffnet«, schwor er vor den Augen und Ohren sämtlicher Bewohner, die sich auf dem großen Platz vor dem Versammlungsgebäude eingefunden hatten. Es waren so viele, dass sie bis in die umliegenden Gassen und Straßen standen, um zu hören, wie Pashtak seinen Amtseid erneuerte.
»So sei du, Pashtak, unser oberster Richter und unser Anführer.« Slrnsch, eine für menschliche Augen eher hässliche, kindgroße Kreatur mit reichlich Fell, einem Gebiss wie ein Wolf und Muskeln wie ein Stier, reichte ihm die Hand. »In Vertretung der Bewohner Ammtaras, ganz gleich, ob Vertrauen aus. Du kannst dich stets auf uns verlassen, und was immer es ist, mit dem wir dir zur Seite stehen können, lass es uns wissen.« Er trat mit einem aufmunternden Fauchen zurück, sodass Pashtak allein auf dem Podest stand. Die Aufmerksamkeit der Menge richtete sich nun ungehindert auf ihn. Pashtak fühlte sich deutlich unwohl, wie man an den kleinen roten Pupillen in seinen gelben Augen erkannte, weil er es hasste, im Mittelpunkt zu stehen und angestarrt zu werden. Der Wunsch, sich umzudrehen und wegzurennen, gewann an Stärke, und das Fell drückte sich flach an seinen gedrungenen, kräftigen Leib. Das Volk erwartete eine Ansprache, und er hatte nichts vorbereitet. Seine krallenbewehrten Finger spielten mit dem Stoff seiner neuen Robe, die Shui für ihn genäht hatte. Inzwischen wurden in Ammtara Wetten abgeschlossen, wie lange es dauern mochte, bis er seine Kleidung entweder ordentlich beschmutzt oder in irgendeiner Weise zerrissen hatte. »Freunde, unsere Stadt hat ihren Beitrag geleistet, den wahnsinnigen Govan niederzuwerfen, und darauf sind wir stolz«, begann er zaudernd und wunderte sich sehr, als ihm sogleich die ersten zustimmenden Worte zugebrüllt wurden.
»Wir bleiben eine freie Stadt und beweisen weiterhin, dass die Menschen und wir gemeinsam friedlich leben können. Ammtara bedeutet Freundschaft, und genau das stellen wir hier dem gesamten Kontinent unter Beweis.« Wieder ertönten Beifall und Jubelrufe. »Wir haben uns für die richtige Seite entschieden, und schaut, wie prächtig unsere Stadt aussieht! Überall wachsen die Gebäude in die Höhe, der Sumpf ist trockengelegt, und wir können genug
Platz bieten, um weitere Häuser zu bauen. Die Dunkle Zeit
ist vorüber, und für Ammtara wird es eine Goldene Zeit!« Das genügt, beschloss Pashtak, winkte noch einmal und verließ fluchtartig das Podest, wurde aber von Slrnsch zurückgeschickt. »Ich habe natürlich etwas vergessen«, gestand er verlegen ein und grollte entschuldigend. »Lasst uns feiern!«
Die Hochrufe schallten laut zu ihm und den anderen Mitgliedern der Versammlung, Menschen und Sumpfkreaturen riefen seinen Namen, klatschten, lachten und freuten sich ausgelassen darüber, dass die Zeit der Unsicherheit für
Ammtara ein Ende gefunden hatte.
Pashtak stieg die Stufen hinab, wo er prompt von vier seiner Jüngsten
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