Trügerischer Friede
dringend mit mir sprechen?«, erinnerte sie ihn mahnend, erhob sich und stellte sich vor ihn, um ihm die Sicht auf Elenja zu nehmen.
»Die Arbeiten an der Schutthalde der Kathedrale müssen eingestellt werden«, verlangte er. Sie verstand die Anweisung nicht. »Weshalb?«
»Du erinnerst dich an das Loch, in das Govan die Ulsarer warf, um sie Tzulan zu opfern?« Er sah ihr Nicken und gleich darauf, wie ihr die Blässe ins Gesicht flog.
»Es lebt etwas darin?« Sie lief an ihm vorbei zur Tür. »Bei Ulldrael dem Gerechten! Die Vorarbeiter versicherten mir stolz, dass sie heute die Stelle freilegen wollen.«
Lodrik folgte ihr und hörte, dass Elenja sich erhob, um ihnen beizustehen. »Nein, Kabcara.« Er hielt inne. »Ihr seid sicherer im Palast aufgehoben. Ich kann nicht einmal sagen, was uns erwartet, aber es muss gigantisch sein.«
Sie näherte sich ihm und blieb eine Armlänge entfernt stehen. »Woher stammt Eure Eingebung?«, raunte sie krächzend.
»Ich hatte eine .. einen Traum«, sagte er ausweichend und spürte die seltsame Vertrautheit wieder. Er nickte ihr zu und beherrschte sich, ihr nicht den Schleier vom Gesicht zu nehmen und einen Blick auf die Aussätzige zu werfen, deren Einsamkeit er so gut verstand. »Wartet hier, bis wir Sicherheit haben, dass sich nichts Schlimmes ereignen wird.« Er rannte den Gang entlang und holte Norina bald ein.
»Ein Traum?«, hakte seine Gattin nach.
»Ja. Ein beängstigender Traum.« Selbst ihr gegenüber blieb er bei seiner Lüge. »Einer von vielen. Ich habe gelernt, auf sie zu achten.«
»Matuc hat so etwas Ähnliches angedeutet, doch ich habe seine Bemerkung völlig vergessen«, ärgerte sie sich.
Sie liefen in die Stallungen, wo sie Pferde gebracht bekamen; ein kurzer Befehl genügte, und eine Leibwache von dreißig Soldaten begleitete sie.
Lodrik nahm sich die Zeit, um einen alten Kutschermantel überzuwerfen, den er von einem Haken im Stall nahm, und sein blondes Haupt mit dem dazugehörigen breitkrempigen Hut zu bedecken. Er wollte von den Ulsarer nicht erkannt werden.
In schnellem Ritt preschten sie durch die Straßen der Hauptstadt. Lodrik ging es nicht schnell genug. Er ritt rücksichtslos gegenüber sich selbst, seinem Pferd und denjenigen, deren
Weg sie kreuzten. Mit Mühe gelang es Norina und den Soldaten, den Anschluss zu ihm zu halten. Als sie sich dem beinahe abgeräumten Trümmerfeld näherten, vernahmen sie die aufgeregten Rufe der Arbeiter, die in wilder Flucht über Steinquader, umgestürzte Säulen und Sockel hinwegsetzten, während sich hinter ihnen eine immense Staubwolke auftürmte.
Lodrik riss die Zügel seines Pferdes brutal zurück und brach ihm durch sein Manöver um ein Haar das Genick. »Was ist los?«, herrschte er den ersten Mann an und stieg ab. Sein Pferd galoppierte wiehernd davon.
»Der Boden ist eingebrochen«, stammelte der verängstigte Mann. Norina konnte nicht einschätzen, ob der Schrecken vom Erlebten oder der Aura ihres Gemahls herrührte. »Wir hörten abscheuliche Laute aus dem Loch darunter, der Boden wackelte, und zwei von uns sind hineingefallen.« Er machte einen Schritt rückwärts. »Ihre Schreie .. so weit entfernt. .«
Lodrik rannte an ihm vorbei, sprang über den Schutt und hastete an die Stelle, wo er einst gestanden hatte, um zum Kabcar von Tarpol ernannt zu werden.
Dort hatte sich ein ruinenumsäumter Krater von zehn Schritt Durchmesser gebildet. Das Loch, in welches immer wieder loses Geröll rutschte, war sicherlich nicht weniger als sechs Schritt breit. Es grollte und brodelte leise daraus hervor, als wäre dies das Ende eines Kaminschlotes, auf dessen Feuerstelle ein enormer Kessel kochte. Es stank widerlich nach Fäulnis.
»Du hattest Recht.« Norina stellte sich neben ihn. Sie gab den Soldaten ein Zeichen, sich um den Krater zu verteilen und genau darauf zu achten, was sich dort tat.
»Wie dumm, dass ich den Traum zu spät hatte«, sagte er nachdenklich. Er beschrieb seiner Frau leise genug, damit nur sie es verstand was er in Govans Verstand gesehen hatte, um sie auf das Eischeinen des Ungeheuers vorzubereiten. »Wir können das Loch zuschütten und hoffen, dass es sich den Weg nicht nach oben gräbt. Oder wir gießen heißes öl hinein und beten, dass es daran stirbt Oder wir schicken ein paar Späher hinab, um nachzuschauen, was sich überhaupt dort unten befindet, und überlegen dann, was wir unternehmen.«
Norina grübelte noch, als sich ihnen ein Soldat näherte, den sie bei den
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