Trügerischer Friede
Herz nicht aus, legten sich unsichtbare Finger um ihren Hals und raubten ihr das letzte bisschen Luft, das sie noch bekommen hatte.
»Geister«, röchelte sie Lodrik zu und hoffte, dass er sie verstand, dann verlor sie das Bewusstsein. Das dachte sie zumindest.
Bis sie sich unvermittelt über ihrem Körper schwebend wieder fand, während Lodrik und Norina sich über ihn beugten. Bei allen Göttern! Bin ich tot?
Kontinent Ulldart, Baronie Kostromo, Spätherbst im Jahr 1 Ulldrael des Gerechten (460 n.S.) Aljascha erhob sich aus dem Bett. Obwohl es noch finstere Nacht war, hielt sie es nicht mehr länger auf der angenehm weichen Matratze aus. Ängste quälten sie. Gefährliche Ängste. Sie nahm den weißen, aus Lammwolle gesponnenen Morgenmantel und bedeckte ihren nackten, begehrenswerten Körper. Sie schaute auf das entspannte Gesicht von Lukaschuk, der erschöpft vom Liebesspiel tief und fest schlief, ehe sie das Gemach verließ, um nach Vahidin zu sehen. Die Kunde über den Silbergott hatte sich für ihren Geschmack viel zu schnell herumgesprochen. Lukaschuk versicherte ihr immer wieder, dass keiner aus den Reihen der Tzulani den Fehler begangen hatte, etwas von dem Geheimnis preiszugeben.
Die Tzulandrier müssen geplaudert haben, ärgerte sie sich. Nun galt es, den Schaden zu begrenzen. Es gab sehr wenige Menschen, die ihren Sohn und dessen rasches Wachstum mit eigenen Augen gesehen hatten. Von einigen wünschte sie sich, dass sie tot wären.
Ihre gesamten Bediensteten in Granburg mussten aus dem Weg geschafft werden, bevor sie mit ihren Erzählungen die richtige Fährte setzten. Während sie durch den Palast ging, in dem vor wenigen Wochen Silczin noch Vasruc gewesen war, grübelte Aljascha darüber nach, wie sie es anstellte, alle auf einen Schlag zu töten. Immerhin gehörten neben ihrer Zofe, der Köchin und dem Kutscher eine Hand voll Soldaten dazu, welche ihren
Hausarrest überwacht hatten.
Eine Tür quietschte leise, Holz stieß auf Holz, wieder quietschte es. Die Geräusche drangen aus Vahidins Zimmer.
Mit der unerschütterlichen Entschlossenheit einer Mutter, die ihr Kind verteidigen wollte, eilte sie durch das Ankleidezimmer. Ihre Hand streckte sich nach der Klinke der angelehnten Durchgangstür, als sie das Kichern Vahidins, leises Rascheln und trippelnde Schritte hörte. Sie verharrte. Anstatt wie eine Furie vorwärts zu stürmen, beugte sie den Oberkörper nach vorn und spähte durch den Spalt in den Raum ihres Sohnes.
Vahidin war äußerlich von einem sechsjährigen Jungen nicht mehr zu unterscheiden. Er saß auf seinem Bett, umspielt vom Licht der Monde, das schwach durch die Wolken drang, und umschwärmt von unzähligen Kreaturen, welche einen gewöhnlichen Ulldarter schreiend in die Flucht getrieben hätten. Vahidin aber lächelte das Wesen unmittelbar vor sich an, worauf es sich unterwürfigst verbeugte. Aljascha hielt den Atem an. Sie kannte die Wesen mit den dürren Leibern, den großen Köpfen und Augenhöhlen ata leuchtendem Purpur, aus deren Rücken stattliche Schwingen wuchsen. Die Modrak!
Sie sind zurückgekehrt, wunderte sie
freuen sollte.
Die Wesen, die einst Sinured gedient hatten und von denen keiner wusste, welche Ziele sie in Wirklichkeit verfolgten, waren nach der Schlacht bei Taromeel verschwunden. Man hatte sich erzählt, dass Tokaro von Kuraschka das Amulett, mit denen man sie rufen und befehligen konnte, in einem Moor versenkt habe, damit keiner mehr Macht über sie erlangte.
Und dennoch saßen sie wie folgsame Hunde um das Bett ihres Sohnes. Er benötigte das Amulett offenbar nicht.
Das Rascheln, das sie hörte, stammte von ihren Schwingen und den aneinander reibenden Flughäuten. Sie drängten sich um ihn, hielten jedoch einen ehrfürchtigen Abstand und schienen von dem Verlangen beseelt, in seiner Nähe zu sein.
»Komm herein, Mutter«, sagte Vahidin, ohne den Kopf zur Tür zu drehen. »Sie tun dir nichts. Es sind meine Freunde.« Er deutete auf einen Klumpen Metall neben sich auf der Decke. »Das haben sie mir als Geschenk mitgebracht.«
Mit einem mulmigen Gefühl betrat Aljascha das Zimmer.
Die Modrak bildeten eine Gasse, um sie zum Bett ihres Sohnes gelangen zu lassen, und scharten sich dann um sie. »Hast du sie gerufen, mein Lieber?«, fragte sie ihn und strich über sein silbernes Haar, dann setzte sie sich neben ihn. »Wie?«
»Ich weiß es nicht«, sagte er nachdenklich. »Ich habe von ihnen geträumt, und als ich erwachte, flogen sie wie Fledermäuse
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