Trügerischer Spiegel: Roman (German Edition)
lehnte den ihren ab. »Wir sollten die Plakate bis Ende der Woche in Auftrag geben.«
»Ich werde dir auf jeden Fall vorher meine endgültige Entscheidung mitteilen.«
»Mein Gott, kann denn nicht jemand...« Fancy deutete auf Mandy. Für die Dreijährige hatte es sich als wahre Herausforderung erwiesen, den Kuchen vom Teller in ihren Mund zu befördern. Krümel waren auf ihr Kleid gefallen, und die Schokoladencreme war rund um ihren Mund verschmiert. Sie versuchte, sich den Mund abzuwischen, und jetzt klebten auch ihre Hände. »Es ist einfach widerlich, dem kleinen Zombie beim Essen zuzusehen. Kann ich bitte aufstehen?«
Ohne auf die Erlaubnis zu warten, schob Fancy ihren Stuhl zurück und warf ihre Serviette auf den Teller. »Ich fahre nach Kerrville und schaue, ob’s was im Kino gibt. Hat jemand Lust, mitzukommen?« Die Einladung galt allen, aber ihr Blick fiel dabei auf Eddy. Er aß bedächtig seinen Kuchen. »Dann nicht.« Sie drehte sich heftig um und verschwand.
Avery war froh, daß das kleine Biest weg war. Sie hob Mandy auf ihren Schoß. »Kuchen ist eben einfach zu lecker, als daß man ihn essen könnte, ohne dabei zu krümeln, stimmt’s, Süße?« Sie wickelte eine Ecke ihrer Stoffserviette um den Zeigefinger, tauchte ihn in ihr Wasserglas und wischte die Schokoladencreme aus Mandys Gesicht.
»Deine Tochter gerät langsam völlig außer Kontrolle«, bemerkte Nelson an Dorothy Rae gewandt. »Dieser Rock, den sie heute trägt, ist so kurz, daß er kaum ihr Hinterteil bedeckt.«
Dorothy Rae schob sich die matten Locken aus der Stirn. »Ich versuche es ja, Nelson. Aber Jack läßt ihr immer alles durchgehen.«
»Das ist eine verdammte Lüge«, protestierte Jack. »Ich habe es immerhin geschafft, daß sie jeden Tag zur Arbeit geht, oder? Das ist konstruktiver als alles, wozu du sie je ermutigt hast.«
»Sie sollte eigentlich noch etwas lernen«, erklärte Nelson. »Ihr hättet es nie zulassen dürfen, daß sie das College verläßt, ohne das Semester zu beenden. Was soll aus ihr werden? Was für ein Leben soll sie ohne richtige Ausbildung führen?« Er schüttelte ermahnend den Kopf. »Sie wird noch teuer für ihre Entscheidungen bezahlen. Und ihr auch. Man kann nur ernten, was man gesät hat, wißt ihr.«
Avery gab ihm zwar recht, fand aber, daß Nelson ihre elterlichen Mängel nicht vor allen diskutieren sollte.
»Ich glaube, bei Mandy hilft nur noch ein Bad«, sagte sie, dankbar, eine Entschuldigung gefunden zu haben, der Gesellschaft zu entrinnen. »Würdet ihr uns bitte entschuldigen.«
»Brauchst du Hilfe?« fragte Zee.
»Nein, danke.« Als ihr dann aber klarwurde, daß sie Zee ihre übliche Aufgabe, Mandy ins Bett zu bringen, wegnahm, fügte sie noch hinzu: »Weil ich heute den ersten Abend wieder zu Hause bin, würde ich sie gern selbst ins Bett bringen. Es war ein wunderbares Abendessen, Zee. Vielen Dank.«
»Ich komme später noch und sage Mandy gute Nacht«, rief Tate hinter ihnen her, als Avery sie aus dem Eßzimmer trug.
»Es hat sich also nichts geändert.«
Dorothy Rae schwankte durchs Wohnzimmer und ließ sich in einen der beiden Sessel fallen, die vor dem großen Fernsehapparat aufgestellt waren. Jack saß in dem anderen Sessel. »Hast du mich gehört?« fragte sie, als ein paar Sekunden vergangen waren und er immer noch schwieg.
»Ich habe dich gehört, Dorothy Rae. Und wenn du damit sagen willst, daß du heute abend wie immer betrunken bist, dann hast du recht. Es hat sich nichts geändert.«
»Ich meine damit, daß du deine Augen nicht von der Frau deines Bruders lassen kannst.«
Jack sprang auf und schlug mit der flachen Hand gegen den Schalter am Fernsehgerät, so daß Johnny Carson mitten im Witz unterbrochen wurde. »Du bist betrunken und ekelhaft. Ich gehe ins Bett.«
Er stapfte in das angrenzende Schlafzimmer. Dorothy Rae
kämpfte sich mühsam aus dem Sessel und folgte ihm. Der Saum ihres Morgenrockes schleppte hinter ihr her.
»Versuch nur nicht, das zu leugnen«, sagte sie mit einem Schluchzen. »Während des ganzen Abendessens hast du Carole und ihr hübsches neues Gesicht angehimmelt.«
Jack zog das Hemd aus, knüllte es zusammen und warf es in den Wäschesack. »Weshalb mußt du dich immer so betrinken, daß du die Beherrschung verlierst?«
Sie wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Leute, die Dorothy Rae Hancock gekannt hatten, als sie noch ein Teenager war, hätten nie geahnt, daß eine Alkoholikerin aus ihr werden würde. Sie war die
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