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Trümmermörder

Trümmermörder

Titel: Trümmermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
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Fenster und erkennt Frau Hellinger, die am Küchentisch sitzt und weint. Stave zögert kurz, klopft dann trotzdem an. Es dauert lange, bis die Tür geöffnet wird. Die Frau des Industriellen sieht blass aus, doch hätte er sie nicht zuvor beobachtet, der Oberinspektor wäre nicht auf die Idee gekommen, dass sie eben noch in Tränen aufgelöst war. Frau Hellinger blickt ihn ängstlich an.
    Sie muss denken, dass ich eine schlimme Nachricht überbringe, fährt es Stave durch den Kopf, und er lächelt rasch, erklärt, dass er nichts Neues zu verkünden habe – aber ob ihr vielleicht noch irgendetwas eingefallen ist, seit ihrem letzten Gespräch?
    Sie führt ihn tatsächlich hinein. Die Wärme, der Duft glimmender Kohlen. Tee.
    »Ich weiß nicht, was ich Ihnen sonst noch erzählen könnte«, murmelt sie. »Dass mein Mann mit den Engländern zu tun hatte, wissen Sie ja.«
    Stave schweigt und schlürft den Tee.
    »Dass er Vorhalterechner für U-Boote entwickelte, wissen Sie auch. Was soll ich noch sagen?«
    Dem Oberinspektor kommt eine Idee. »Wer war der letzte Besucher, den Ihr Mann vor seinem Verschwinden empfangen hat?«
    Sie denkt nach. »Am Tag davor … niemanden. Zwei Tage davor einen englischen Offizier. Der Herr kam öfters zu uns oder zu meinem Mann ins Büro. Um technische Dinge zu besprechen, nehme ich an, aber genau weiß ich das nicht.«
    »Kennen Sie seinen Namen?«
    »Oh ja, ein charmanter junger Mann. So unmilitärisch. Lieutenant MacDonald. James C. MacDonald.«

Lebenszeichen
Dienstag, 18. Februar 1947
    Erst die Kälte erlöst Stave. Im Schlaf hat er sich hin und her gewendet, hat die Decke fortgeworfen und lag schweißgebadet auf dem zerwühlten Laken, gefangen im Alptraum, bis die schneidende Kälte den Panzer des Spuks zerbrach. Feuer. Bomben. Rauch. Der Gestank nach brennendem Fleisch. Margarethes Gesicht. Szenen des immer gleichen Filmes – und doch alles neu: Stave hat im Traum Margarethe in den Flammen gesehen, hat vor dem Feuer gestanden und geschrien. Sie aber hörte ihn nicht, denn ihr Körper war festgefroren am Küchenboden, trotz der Gluthitze. Eine schmale, rote Linie lief um ihren Hals. Und auf ihren starren, offenen Augen lag Eis.
    Ich muss diesen Fall lösen, ermahnt sich der Oberinspektor, sonst denke ich bald an gar nichts anderes mehr. Früher hat er die Ermittlungen an den Garderobenhaken gehängt wie den Mantel. Wenn er nach Hause kam, war mit der Arbeit Schluss, auch im Kopf. Die Wohnung als Festung des privaten Glücks. Bis die Bomben fielen.
    Fluchend tastet sich Stave durch die Zimmer. Das Eis auf den Fensterscheiben schluckt das frühmorgendliche Dämmerlicht. Er fühlt sich, als tauche er durch Graupensuppe, während er zum Küchentisch wankt: graues Glimmen überall, die Proportionen des schiefen Tisches und des Stuhls mit dem geflickten Bein sind verzerrt. Er greift neben die Lehne, stößt beinahe den emaillierten Kaffeebecher um. Nicht, dass das wichtig wäre: Kaffee hat er nicht und warmes Wasser ebenso wenig wie Licht.
    Stromsperre.
    Stave hat es vergessen. Jedem Stadtteil wird zweimal pro Woche für zwei Stunden der Saft abgedreht, weil die Kohle in den Kraftwerken nicht mehr für alle reicht. Heute Morgen ist Wandsbek dran, er hätte vorbereitet sein sollen. Wo ist die Kerze?
    Denken kann ich auch im Dämmerlicht, spricht sich Stave Mut zu. MacDonald. Der Engländer hat ihn getäuscht, hat ihm den Besuch bei dem vermissten Industriellen verschwiegen. Warum? Hat das etwas mit den Morden zu tun? Hellinger, der nächste Tote, den sie irgendwo in einem Keller finden werden? Und, endlich, eine Spur zum Täter? MacDonald? Irgendwie absurd.
    Aber um das Alibi des Lieutenants hat er sich nie gekümmert. Sagte Erna Berg nicht, dass er manchmal stundenlang unauffindbar ist? Was macht er in dieser Zeit? Er könnte es sein. Fragt sich nur, was er für ein Motiv gehabt haben sollte. Raub wohl kaum, Besatzungsoffiziere leben wie Kolonialherren, er muss nur an die Antiquitäten denken, die Anna von Veckinhausen den Briten verkauft. Und außerdem: Hellingers Frau hat keines der anderen Opfer erkannt, als er ihr die Fotos zeigte. Wenn sie nichts mit ihrem verschwundenen Gatten zu tun haben – welcher Zusammenhang besteht dann zwischen den vier Toten und dem Industriellen? Und wie wiederum hängt das mit MacDonald zusammen?
    Haben die verschwundenen Akten etwas damit zu tun? Möglich, in ihnen steht Hellingers Name – ein Name, der bislang nur in den Listen des Suchdienstes und

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