Trugschluss
eine unübersehbare Menge von
winzigen Gestängen, Gewichten und Rädern angebracht.
Der Mann, der eine dicke Hornbrille trug,
hatte die Besucher bemerkt und sich aufgerichtet. Noch bevor er etwas sagen
konnte, begrüßte ihn Sander und stellte sich und seinen Kollegen vor.
»Presse?«, wiederholte Norbert Willing
wenig erfreut, »ich hab nix zu sagen.« Offenbar schien er zu ahnen, worum es
ging. Er stieg die vier Stufen seiner Leiter herab und kam auf Sander und Miele
zu. »Und fotografiert wird hier schon gar nicht«, knurrte er, als er die Tasche
des Fotografen sah.
»Wollen wir auch nicht«, sagte Sander und
schaute in das schlecht rasierte Gesicht des kränklich wirkenden Mannes.
»Wenn Sie wegen der Sache von gestern
kommen, sind Sie bei mir verkehrt«, fuhr Willing fort und wischte sich seine
Hände am blauen Arbeitsoverall ab. »Was ich gesehen hab, hab ich schon zu
Protokoll gegeben.«
Sander kannte derlei Äußerungen zur
Genüge. Meist konnten Personen, die nie zuvor etwas mit Polizei und Presse zu
tun hatten, nicht verstehen, dass Journalisten eben eigene Recherchen
anstellen. Sander versuchte ihnen dann in Ruhe zu erklären, dass sie selbst
doch auch ausführlich informiert werden wollten, wenn irgendwo anders ein
Verbrechen geschehen sei. Aber, auch das musste er schon oft schmerzlich
erfahren: Zwar will jeder sofort alles über ein Ereignis wissen, aber bittschön
eben nur, wenn’s einen nicht persönlich betrifft. Dann werden Journalisten,
deren Berichte man normalerweise gierig verschlingt, plötzlich zu ungeliebten
Bösewichten.
Während Miele interessiert ein paar
Schritte an den Werkbänken entlang ging, wo diverse elektronische Messgeräte
und auch zwei Computer-Bildschirme standen, versuchte Sander den Mann
gesprächig zu machen. »Wir wollten nur kurz wissen, was Sie gesehen haben.«
Willing blickte verärgert dem Fotografen nach, der ihm jetzt viel zu weit in
die Werkstatt vordrang. »Bleiben Sie bitte zurück«, rief er ihm nach. Miele
machte kehrt. Dann wandte sich der Mann wieder Sander zu: »Das muss nicht
aufgebauscht werden«, sagte er, »nichts für die Presse. Wirklich nicht.«
»Sie haben gesehen, dass da ein Feuer war.
Da drüben beim Funkmast«, versuchte es Sander nochmals.
Willing winkte ab und kratzte sich auf der
Glatze. »So was ähnliches ja«, ließ er sich entlocken, »ein Lichtstrahl, aber
nur ganz kurz. Kann auch der Scheinwerfer eines Autos gewesen sein, das von
Oberdrackenstein rüber gekommen ist.«
»Wann war das ungefähr?«
Willing rieb sich noch einmal die Hände am
Overall sauber. »Um drei, gestern früh, kurz nach drei.«
»Und dann?«
»Nichts mehr. Nichts. Gar nichts«,
antwortete der Mann und ließ eine gewisse Anspannung erkennen.
Die beiden Zeitungsleute bedankten sich
und gingen in Richtung Ausgangstür, neben der ein schweres Motorrad stand, eine
BMW, wie Sander erkannte. Dann drehte er sich noch einmal um: »Dürfen wir
fragen, was Sie hier konstruieren?«
Willing, der sich schon wieder seinem
Scheiben-Apparat zugewandt hatte, drehte sich ebenfalls um: »Ist noch nicht
spruchreif. Aber vielleicht komm ich in dieser Sache mal auf sie zu. Könnte
sein.« Dann machte er sich wortlos über seine Technik her.
Sander und Miele traten ins Freie und
hatten gerade die Tür hinter sich zugemacht, als ihnen auf dem schmalen
Gartenweg, ein Mann entgegen kam. Ein bisschen rundlich wirkte er, aber
irgendwie gemütlich und zufrieden. »Hallo« lächelte er den beiden zu und ging
an ihnen schnurstracks vorbei zu der Werkstatttür. Auch der Journalist und sein
Fotograf hatten gegrüßt. Sander drehte sich um und blickte dem weißhaarigen
Mann nach, der um die 60 sein mochte.
»Kennen Sie den?«,, fragte der Fotograf
beim Weitergehen.
»Irgendwo her kenn ich den, ja«, erwiderte
der Journalist. Als sie ihren weißen Polo erreicht hatten, fiel’s Sander wie
Schuppen von den Augen: »Mensch, Herr Miele, jetzt weiß ich, wer das ist.«
Miele schloss, einem jahrelangen Ritual
treu bleibend, zuerst die Beifahrertür auf, um den Journalisten einsteigen zu
lassen, und wartete gespannt auf eine Antwort.
»Ein Kreisrat«, erklärte Sander, »von den
Konservativen, Bruno Blühm. Ist Rektor der Realschule in Deggingen und sitzt
für die Konservativen im Göppinger Kreistag. Klar. Mein Gott, wenn ich nur kein
so schlechtes Personengedächtnis hätte!«
»Ach? Ein Kreisrat?«, staunte Miele, als
ihm Sander wie immer von innen die Fahrertür entriegelte. »Was hat
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