Trugschluss
Kollegen
vom Verfassungsschutz notiert. Nach kurzem Umschichten vieler Blätter und Akten
stieß er auf das gesuchte Papier. Er wählte die Nummer und lauschte auf das
Freizeichen. Unterdessen drehte er sich mit dem Bürosessel zum Fenster, von dem
aus er nur den Schein einer Straßenlampe sah.
Tatsächlich war Eugen Bönsch daheim.
Häberle meldete sich mit »Hallo, Kollege, jetzt bin ich’s schon wieder.« Der
Angerufene zeigte sich erfreut, ließ aber an seiner Verwunderung keinen Zweifel
aufkommen.
»Ganz undienstlich«, begann der Kommissar,
»ganz inoffiziell. Ist nur so eine Idee von mir. Aber ich denk wir kennen uns
lang genug, um uns auf diesem Weg zu verständigen.«
»Geht’s doch um Willing?«, hörte er die
sonore Stimme des Verfassungsschützers fragen. Sie hatte etwas Vorsichtiges und
Lauerndes an sich.
»Nicht direkt«, erwiderte Häberle und
ertappte sich dabei, wie er auf einem Schriftstück die Buchstaben ausmalte. »Es
geht um Münsingen, Truppenübungsplatz.«
Bönsch wartete für Häberles Begriffe einen
Moment zu lange. »Ist auch da oben, ja«, sagte er knapp.
»Ich weiß ja nicht, inwieweit du mir dazu
weiterhelfen kannst – und darfst«, machte der Kommissar weiter, »aber hältst du
es für denkbar, dass dort – sagen wir mal – geheime Forschungsprojekte laufen?«
Er hörte den schweren Atem seines Gesprächspartners. »Was heißt, ›geheime
Forschungsprojekte‹?«, wiederholte dieser, »›geheim‹ ist immer relativ, August.
Dieser Truppenübungsplatz bei euch da oben ist seit Jahrzehnten militärisches
Sperrgebiet. Soll’s aber nicht mehr lange sein, hab ich gelesen. Aber das weißt
du ja selbst wohl am besten. Da gibt es Bunker und Stollen, noch aus dem
Dritten Reich. Wahrscheinlich kann dir kein Mensch so genau sagen, was da alles
im Untergrund drin ist.«
Der Kommissar drehte sich wieder zum
Schreibtisch und stützte sich mit den Ellbogen ab. Essensdüfte zogen von der
Küche herüber. Er verspürte Hunger. »Es kann also sein, dass dort nicht nur mit
Panzern gefahren und geschossen wird und Soldaten getriezt werden?«, fragte er
direkt.
»So kann man das sicher ausdrücken, aber
das ist nichts Außergewöhnliches«, bestätigte Bönsch bedächtig. »Das Gelände
ist riesengroß, da versteht es sich doch von allein, dass man es entsprechend
nutzt. Dazu noch in der Provinz, wo kein Hahn danach kräht, was geschieht. Vor
den Toren Berlins oder was weiß ich, im Ruhrgebiet, hättest du dauernd
irgendwelche kritischen Beobachter, die dir auf die Pelle rücken.
Demonstranten, Chaoten und so. Aber da oben bei euch, mein Gott, kümmern sich
die Leute um ihre eigenen Probleme.«
Häberle spürte zunehmend, dass sich der
Kollege mit seinen Antworten schwer tat. Deshalb versuchte er es auf direktem
Weg: »Sagt dir, ›HAARP‹ etwas?« Er buchstabierte den Begriff zusätzlich.
Bönsch schwieg und räusperte sich. Dann,
nach langem Überlegen, kam die Antwort: »Nun ja, August, du wirst dir
vorstellen können, dass sich unsereiner im Laufe des Berufslebens mit vielerlei
Dingen befassen musste. Mit vielem, was utopisch und unwahrscheinlich
erscheint. Weil Gerüchte und Behauptungen im Raum stehen, für die es keine
konkreten Anhaltspunkte gibt. ›HAARP‹ ist so etwas.« Er hielt inne und holte
hörbar tief Luft. »Wenn du meinen ehrlichen Rat hören willst, August, dann
empfehl ich dir, von solchen Dingen die Finger zu lassen. Du könntest sie sonst
gewaltig verbrennen.«
Häberle war wie vom Blitz getroffen. Damit
hatte er nicht gerechnet. »Wie bitte, darf ich das verstehen?«, fragte er
irritiert.
»Ich weiß ja nicht, wie wichtig dein
aktueller Fall ist – aber du solltest dir ernsthaft überlegen, ob er es wert
ist, sich gewaltig in die Nesseln zu setzen – oder gar …« Bönsch räusperte sich
wieder. »… die Pension zu riskieren.« Der ehemalige Verfassungsschützer ließ
charmant durchblicken, dass er nicht mehr dazu sagen wollte: »Versteh mich
bitte richtig, aber es gibt Themen, über die ich auch im Ruhestand keine
Details preisgeben darf.«
Häberle spürte, wie sich ihm der Magen
zuschnürte. Ihm war der Appetit auf sein Lieblingsessen vergangen.
Sander war an der gesuchten Adresse in Blaubeuren eingetroffen.
Steinbachs schlichtes Einfamilienhaus wurde von einer Straßenlampe spärlich beleuchtet.
Als der Journalist durch den Vorgarten zur Eingangstür ging, hörte er hinter
sich einen Pkw vorbeifahren. Der wieder dichter gewordene Nebel dämpfte
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