Trugschluss
unter vier Augen in die Direktion nach
Göppingen kommen.
Winfried Neumann war über den nervlichen Zustand seiner Frau Lilo
beunruhigt. Das Verschwinden Blühms hatte sie stark mitgenommen. Schließlich
war der Kommunalpolitiker ein enger Vertrauter von ihnen gewesen. Die gesamte
Brummton-Szene hatte sich auf ihn und seine phänomenalen Kontakte verlassen
können. Wenn er jetzt tatsächlich auf dubiose Weise verschwunden war, dann
konnte dies nur bedeuten, dass man ihm etwas angetan hatte.
Jörg Brobeil war auf die ausdrückliche
Bitte des Ehepaars von Ehingen nach Steinenkirch gekommen. Er saß, wie üblich,
mit ungekämmten Haaren am Esszimmer-Tisch, während Winni und Lilo
Apfelsaftschorle und Gläser herbeiholten.
»Jörg, es ist schrecklich«, flüsterte die
Frau, »ich bin davon überzeugt, die wollen uns alle beseitigen.«
Der Theologe zuckte mit einer Wange. »Du
darfst das nicht überbewerten, Lilo.« Er versuchte, beruhigend auf sie
einzureden. »Bei Bruno liegt die Sache nochmal anders.«
Winni Neumann nahm einen Schluck aus
seinem Glas. »Du meinst, er ist tief in die Sache verstrickt?«
Brobeil nickte. »Ganz sicher ist er das.
Seit seiner Pensionierung hat er sich in die Sache verbissen, ja, verbissen –
so kann man das sagen. Das Verhältnis zu seiner Frau soll darunter gelitten
haben.«
»Du willst damit aber nicht sagen, dass er
…?« Winni wollte den Verdacht gleich gar nicht aussprechen.
»Dass er ausgestiegen ist? Auf und davon?«,
fragte der Theologe nach und gab sich selbst die Antwort: »Bei allem, was man
hört – ganz so abwegig wär’s nicht. Vielleicht hat er inzwischen mitgekriegt,
welche Sauereien da laufen.«
»Aber deswegen
lässt man doch die Ehefrau nicht zurück …?«
»Das kommt immer auf die Umstände drauf an«,
erwiderte Brobeil, »die Schmerzgrenze ist bei vielen Menschen zwar sehr hoch.
Aber wehe, wenn sie überschritten wird. Dann können sich sowohl angestaute
Aggressionen entladen, als auch geradezu explosive Handlungen ergeben.
Irgendwann, Winni, irgendwann ist der Leidensdruck so groß, dass du etwas tust,
das dir keiner zugetraut hätte.« Er machte eine Pause. »Das sind dann die
Momente, wenn Männer nur mal kurz Zigaretten holen gehen wollen und dabei auf
Nimmerwiedersehen verschwinden.«
»So was gibt’s?«, fragte Lilo mit kreidebleichem
Gesicht und eher abwesend.
Brobeil schaute ihr fest in die glasigen
Augen. »Das gibt’s«, antwortete er, »und zwar nicht mal so selten. Manche
tauchen nie mehr wieder auf. Verschwinden spurlos, wie vom Erdboden
verschluckt.« Er nickte und fuhr fort: »Oder wie in eine andere Welt versetzt.«
51
Linkohr war überaus zufrieden. Seine Ermittlungen hatten bereits
einen ersten Erfolg gehabt. Voller Freude betrat er deshalb mit einigen Zetteln
Häberles Büro, der sich gerade auf den Weg nach Göppingen machte – zur Audienz
bei dem großen Chef.
»Wir wissen jetzt, wohin sich Blühm mit
dem bestellten Taxi hat bringen lassen.« Linkohr betrat das Büro und setzte
sich auf Häberles Aufforderung hin an den weißen Besprechungstisch, auf dem er
seine Unterlagen ausbreitete.
»Sollen wir wetten?«, fragte der
Kommissar, der auf dem Bürosessel nach hinten wippte und, ohne eine Antwort
abzufragen, erklärte: »Ich tipp auf den Flughafen.«
»Der Kandidat hat hundert Punkte«, staunte
Linkohr. »Blühm hat sich tatsächlich am Freitag gegen 19 Uhr mit dem Taxi zum
Stuttgarter Flughafen bringen lassen. Ohne Gepäck, man stelle sich das vor.«
»Woher wissen Sie das denn?«, wollte
Häberle wissen.
»Die Dame von der Taxizentrale hat den
Fahrer gefragt – und der konnte sich noch genau entsinnen. Schließlich komme es
nicht alle Tage vor, dass jemand abends direkt am Landratsamt abgeholt werden
wolle.«
»Sehr gut«, lobte der Kommissar. »Und ich
könnt wetten, Sie wissen auch schon, in welche Maschine er gestiegen ist.«
»Leider nein«, bedauerte Linkohr, »so
einfach ist das nicht, wie Sie sicher wissen. Wir kriegen’s natürlich raus,
vorausgesetzt, er ist unter seinem richtigen Namen gereist. Aber ich kann mir
denken, welches Ziel er hatte.«
»Südlich«, schätzte Häberle und spielte
mit seinem dicken Kugelschreiber.
»Richtig. Ich vermute das Tessin. Lugano.
Genauer gesagt: Agno, wo der dortige Flugplatz ist.«
Häberle stutzte. Das klang nach exakter
Recherche. »Lugano«, wiederholte er ungläubig. »Wie kommen Sie denn da drauf?«
Linkohr genoss sichtlich sein Wissen.
Weitere Kostenlose Bücher