Trust Me - Blutiges Grauen
Lynnette, als sie noch zusammen gewesen waren. Sie war äußerst gefühlsbetont und bei guter Laune schnell zu erheitern. Genauso schnell konnte sie aber auch in schlechter Stimmung aufbrausen.
“Erspar mir deine Erklärungen.” Sie zog sich die Schuhe an und griff nach einem Mantel. Dann ging sie zum Schrank, der zum Teil mit seinen Jacken, Hüten, Schirmen und der Skiausrüstung vollgestopft war. “Du hast immer noch Zeug hier.”
“Ich weiß.” Wollte sie, dass er es mitnahm? Bisher war sie immer darauf bedacht gewesen, es nicht so weit kommen zu lassen. Er hatte wiederum absichtlich ignoriert, dass er noch etwas zurückgelassen hatte. Seit man bei Lynnette nach der Rechtskräftigkeit ihrer zweiten Scheidung eine Multiple Sklerose diagnostiziert hatte, glaubte er, sie nicht einfach allein lassen zu können. Welcher Mann würde die Mutter seines Kindes verlassen, wenn ihr ein lebenslanger Kampf gegen eine solche Krankheit bevorstand?
Er zuckte die Schultern. “Ich werde es demnächst mitnehmen.”
“Nein, wirst du nicht. Du wirst es so lange hierlassen, bis es verrottet oder ich es in den Müll werfe.”
Weil er keine andere Wahl hatte. Es war nicht so, dass sie eine zuverlässige Familie besaß, an die sie sich hätte wenden können. Seine Familie war auch die ihre geworden, und die hatte beschlossen, ihr beizustehen, zu ihrem und Jeremys Besten. Eine Medizinalassistentin verdiente nicht besonders viel, und sie würde womöglich nicht mehr lange arbeiten können. Er hatte bei ihr bereits gewisse Veränderungen bemerkt; noch ausgeprägtere Launen beispielsweise.
Aber sie hatten sich einmal geliebt. Zehn Jahre waren sie zusammen gewesen. Mit genug Anstrengung und Durchhaltevermögen würden sie es bestimmt irgendwie schaffen. Wenn er nur Skye vergessen könnte …
“Ich werde vor Mitternacht nicht zurück sein”, kündigte sie an.
Warum so spät? Er verbrachte jeden Montag mit Jeremy, während sie am American River College ihren Kunstkurs absolvierte. Sie war nie nach zehn Uhr zurückgekommen. Hatte sie jemand anders kennengelernt?
Wenn ja, konnte er sich kaum vorstellen, dass es von Dauer wäre. Er glaubte nicht, dass sie einen Mann fand, der sie bereitwillig versorgte, wenn ihre Krankheit weiter voranschritt. David war sich auch gar nicht sicher, ob er wollte, dass Jeremy einen Stiefvater bekam. Daraus würden eine Menge weiterer Probleme entstehen. Das hier war Davids Familie, er würde sich um sie kümmern. “Viel Spaß”, sagte er.
Sie sah ihn skeptisch an. “Willst du mich nicht fragen, wohin ich nach dem Kurs gehe?”
“Sollte ich das?”
Ein schmerzhafter Ausdruck trat auf ihr Gesicht. “Nein, ich denke, lieber nicht. Jeremy ist hier. Das ist das Einzige, was dich interessiert.”
“Lynn.”
Sie blickte nicht auf. Nachdem sie den Schlüssel von der Anrichte genommen hatte, ging sie zur Tür.
“Lynn”, sagte er noch mal, ging ihr hinterher und griff nach ihrem Arm.
Als sie aufsah, glitzerten Tränen in ihren Augen. “Was ist los?”
“Du glaubst, du kommst zurück”, sagte sie. “Du willst, dass wir wieder miteinander auskommen. Du willst mich mit meiner Krankheit nicht allein lassen.”
“Das stimmt.”
“Aber nur, weil du dich dazu verpflichtet fühlst. Du liebst mich nicht mehr.”
Er wusste nicht, was er darauf antworten oder wie er auf ihr merkwürdiges Verhalten reagieren sollte. Auch wenn sie sich nie in Gegenwart von Jeremy stritten – soweit es David anging, war das eine strenge Regel –, meist verhielt sie sich jedoch so, als könnte sie ihre Abneigung gegen David kaum verbergen. Dann wieder war sie so voller Angst wegen ihrer Krankheit und klammerte sich so fest an ihn, dass er glaubte, keine Luft mehr zu bekommen. “Du bist mir wichtig. Ich möchte, dass du glücklich bist.”
“Du willst, dass Jeremy glücklich ist.”
“Das auch.”
“Aber ich weiß …”
Er ließ ihr nicht die Zeit, nach den Worten zu suchen, die sie ihm an den Kopf werfen konnte. Es wären nur weitere Klagen gewesen, dieselben, die er seit fünf Jahren zu hören bekam. “Wir müssen uns nicht schlecht fühlen, wenn wir zusammen sind”, sagte er. “Wir können noch einmal zur Beratung …”
“Wir hatten genug Beratungstermine, David!”
Ihre Stimme klang schrill, und die Tränen tropften ihr jetzt aus den Augen. David befürchtete, dass Jeremy sie hörte und eine unangenehme Szene mitbekommen würde. “Komm schon.” Er wollte sie in die Arme nehmen und sie
Weitere Kostenlose Bücher