Truthahn um zwölf
Vielleicht ist diese Frau dann immer noch da.«
Ich war bestürzt. »Aber ich
dachte, sie fliegt gleich nach Weihnachten heim? Die Ferien sollten doch
eigentlich nur drei Monate dauern?«
»Ja, aber jetzt redet sie
davon, länger zu bleiben, und die Männer bestärken sie darin, sie sei eine
solche Hilfe für mich, wenn ich mit dem Baby heimkomme. Wirklich, ich weiß
nicht, ob sie in Papa oder Tim verliebt ist — oder in beide. Und ob die beiden nicht
ein bißchen in sie verliebt sind...«
Jetzt mußte ich lachen. Und es
war auch zum Lachen, sich den Colonel, der sechsundzwanzig Jahre lang das
Andenken an seine junge Frau in Ehren gehalten hatte und sich seither nur um
Anne kümmerte, in Ursula verliebt vorzustellen. Genausowenig würde Tim, der
seine sonst so fröhliche und hübsche kleine Frau anbetete, auch nur einen
Gedanken auf sie verschwenden. Ich sagte: »Liebling, du leidest an
Depressionen, wie man sie oft am Ende der Schwangerschaft bekommt. Der Colonel
und Tim würden Ursula mit Freuden hinauswerfen, wenn sie dir damit nur einen
Tag mehr Glück verschaffen könnten, und das weißt du.«
Aber sie war richtig verbohrt.
»Nein, Susan, davon weiß ich nichts, und ich kann es nicht mehr aushalten, wie
mich diese Frau herablassend behandelt, über mein Aussehen lächelt, über meinen
Haushalt spöttelt, den armen Tim bemitleidet und sich abfällig über meine
Kinder äußert. Du mußt sie dazu bringen, daß sie verschwindet!«
Ich war entsetzt. »Ich? Wie
soll ich das machen?«
»Ach, ich weiß es nicht. Aber ihr seid doch so klug, du
und Larry. Euch muß einfach etwas einfallen. Ihr habt doch schon alles mögliche
angestellt, Telefondrähte abgeschnitten, Richard O'Connor gezeigt, wie unmöglich
Gloria war, oder —«
Hier unterbrach ich sie. Ich
hatte keine Lust, noch mehr aus unserer Vergangenheit zu hören. Wir hatten uns
oft genug in die Angelegenheiten anderer Leute eingemischt. Wie Paul immer
sagte, war es höchste Zeit, daß wir vernünftig wurden und bedachten, daß wir
Mütter von Heranwachsenden Kindern waren.
Aber ich machte mir Sorgen um
Anne. Sie redete immer weiter: »Ich gebe ja gerne zu, daß sie schrecklich
tüchtig ist, aber du kannst dir gar nicht vorstellen, was das bedeutet. Sie
weiß alles besser als ich und weist mich immer zurecht, und wenn ich mich
dagegen wehre, dann gibt es Krach. Ich weiß, daß sie meinen Haushalt
erstklassig führt, viel von Landwirtschaft versteht und gut reitet, aber wenn
sie auch noch mehr vom Kinderkriegen verstehen will... Also... Stell dir vor,
als ich vor kurzem sagte, daß ich das Baby sicher an Weihnachten bekommen
würde, sagte sie: >Was für ein Unsinn. Babies kommen immer zu spät!<«
Sie machte eine Pause, als
suchte sie nach passenden Worten. Ich lachte, aber sie blieb ernst, und ich
merkte, daß sie ihren Humor verloren hatte, und das war bedenklich. Man hielt
es mit Ursula nur aus, wenn man über sie und sich selbst lachen konnte. Und
dazu war Anne zur Zeit nicht fähig.
Sie stellte ihre Tasse hin und stand
müde auf. »Du mußt zum Sportfest. Nein, es hat keinen Sinn, mich überreden zu
wollen. Ich sehe scheußlich aus und fühle mich auch so, und ich werde diesem
Weibsbild bestimmt nicht zuschauen, wie sie Larry besiegt, nur weil Papa viel
Geld bezahlt hat für mein Pferd. Ich setz’ dich beim Eingang ab und fahre heim,
und Gott sei Dank werde ich das Haus einmal für mich alleine haben.«
Ich sah ein, daß es sinnlos
war, sie überreden zu wollen. Es ging ihr auch offensichtlich nicht so gut, daß
sie an einem so heißen Tag, eingezwängt in ein Auto, beim Reiten, Holzhacken
und Wettrennen zuschauen konnte. Ich hatte auch keine Lust dazu, denn ich war
müde und niedergeschlagen, und die Aussichten auf ein fröhliches Weihnachtsfest
wurden immer kleiner. Als ich am Sportplatz ausstieg, sagte Anne: »Susan, du
hast mich noch nie im Stich gelassen. Larry auch nicht. Schaut, daß ihr diese
Frau verjagt. Versprich es mir!«
Paul hat vollkommen recht
damit, daß ich Leuten, die ich mag, nichts abschlagen kann. Zu meinem eigenen Entsetzen
sagte ich: »Ich versprech’ es dir. Wenn sie nicht bald von selbst geht, dann
wird Larry sich schon etwas einfallen lassen. Ich ruf’ dich heute Abend an und
schau’, wie es dir geht. Du mußt mir nur versprechen, daß du inzwischen nichts
unternimmst — aber auch gar nichts!«
Sie nickte, und damit hatten
wir wenigstens eine Gnadenfrist. Aber was für ein verrücktes Versprechen! Zum
Glück
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