Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition)
nahe. Zum ersten Mal fühlte ich das, was ich bisher nur auf die Entfernung gespürt hatte, in konzentrierter Form. Er war wie ein Feld vibrierender Energie und ich hatte Mühe, auf seine Frage zu antworten. Viel lieber hätte ich ihn noch weiter angestarrt, versucht, diese Schwingung zu begreifen, aber Michael musste wohl Menschen, die ihn angafften, obersatt haben und so riss ich mich zusammen.
„Im Wesentlichen geht es um Erklärungen für den Sinn unseres Daseins hier auf dieser Erde“, antwortete ich. „Es geht darum, Hintergründe zu erkennen, wie ein Weiser das Leben sieht und meistert...ja...und vieles mehr. Es ist zu umfangreich, um es in einem Satz erklären zu können...“
Ich warf ihm einen unsicheren Blick zu. Er hatte die Augen geschlossen und schwieg. Er schwieg auf eine Weise, die mich nach innen zog, in einen fast meditationsähnlichen Zustand. Er schwieg auf eine Weise, die jedes Wort überflüssig machte und keine Fragen aufwarf und mit einer Stille, die alles umfasste, die zeitlos war und schön.
Der Mond, von grauen Wolken malerisch in Szene gesetzt, schien sanft auf die wunderbare Landschaft, sein silbriges Licht spiegelte sich im Wasser. Die ausladenden Äste des alten Baumes schufen uns ein Nest, und ihr Duft hüllte uns ein in eine Atmosphäre, die seiner Seele entsprach. In diesen Minuten konnte ich Michael voll auf mich wirken lassen und was ich dabei spürte, war kaum mit Worten zu beschreiben. Und es war kaum zu ertragen.
Er verströmte eine solche Intensität von etwas, was ich zunächst gar nicht fassen konnte...eine solche Intensität von Licht und Leid, von Liebe und Sehnsucht... etwas so Bittersüßes, schmerzhaft Schönes, dass mir in seiner Gegenwart unwillkürlich das Herz wehtat und es sich gleichzeitig öffnete. Es war so friedvoll, so tief und so still. Jeder Ton, den wir wahrnahmen, entstand aus dieser Stille, verriet uns in dieser Nacht seinen Ursprung. Und mir schien, als ob die Stille aus ihm käme.
Wehrlos ging mein Herz in Resonanz mit diesem Licht in ihm, es erhob mich und ich wurde leicht, so leicht, so absolut schwerelos, bar jeder Belastung, und ich spürte, wie ich flog, wie ein tiefes Glücksgefühl sich in mir breit machte und Wellen von Freude mich überschwemmten. Es gab keine Gedanken, nur diese Leere, vollkommenes Glück, das keinen Raum für etwas anderes mehr ließ.
Das hatte ich bisher nur einmal erlebt: in Indien, bei einem uralten Meister, der mich eingeladen hatte, mit ihm in seiner Hütte zu sitzen. Wenn ich alles erwartet hatte...dies in Michaels Gegenwart zu spüren, überraschte mich zutiefst.
Daneben fühlte ich gleichzeitig und verwirrend wilden Schmerz, spürte Resignation und Verzweiflung und diese so starken, widersprüchlichen Gefühle verwoben sich wie eine Kette aus weißen und schwarzen Perlen, scheinbar untrennbar miteinander verbunden. Dies war das Bittersüße daran, ein Gefühl, das mich drängte, einerseits die Liebe, die er aussandte, hemmungslos zu genießen und ihn andererseits in den Arm zu nehmen und ihn beschützen zu wollen.
Schweigend saßen wir, ich weiß nicht wie lange, unter dem Baum. Irgendwann wandte er sich mir wieder zu und fragte mit seiner sanften Stimme:
„Hast du für dich einen Sinn gefunden?“
Ich sah ihn an. Seine Augen waren wie er. Gegensätzlich. Komplex. Scheu. Dahinter: Bodenlose Tiefe…und sehnsüchtige Neugier, ein schmerzhafter Wissensdurst um den Sinn dieses Lebens. Er sah in diesem Moment so offen, so verletzlich aus, dass mein Herz anschwoll in einer Empfindung, die Liebe auf einer völlig anderen Ebene war. Liebe, die weder mit Besitzen wollen, noch mit dem Verlangen nach körperlicher Berührung noch mit Erwiderung zu tun hatte. Ich hatte das dringende Gefühl, ihm alles, alles geben zu wollen, nur damit er glücklich war. Nur, um diese wehmütigen Augen in leuchtende zu verwandeln. Diese Regung schwappte über, floss heraus, erreichte ihn. Der Ausdruck in seinen Augen änderte sich. Michael lehnte sich an den Baumstamm, senkte den Blick, fast schuldbewusst, wie mir schien. Wieder war ich verwirrt. Er wartete immer noch auf eine Antwort und schließlich sagte ich:
„Ich glaube, der Sinn des Lebens besteht darin, glücklich zu sein...zu verstehen, warum ich hier bin…und all das abzulegen, was mich am Glücklichsein hindert.“
Er schluckte sichtbar und ich hätte ihm am liebsten sanft die schwarze Haarsträhne aus dem blassen Gesicht gestrichen.
Die Arme um seine angewinkelten
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