Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition)
alles ernst, was mit seinen Kindern zusammenhing. Seine ganzen Aktivitäten kreisten nur um sie und es schien, als ob er nicht vorhatte, irgendetwas anderes zu tun.
Linda hatte mir (verstohlen) erzählt, dass Michael in den ersten Jahren kaum in der Lage gewesen war, Geschäftliches zu erledigen. Wenn er mal gehen musste, sehnte er sich schon an der Haustür furchtbar nach seinen Kindern und er versuchte immer, möglichst schnell wieder bei ihnen zu sein - er fühlte wie eine Mutter.
Aber nun waren die Kinder größer, er war Ende vierzig, und er schien sich wieder mehr dem Geschäft widmen zu wollen…oder zu müssen. Selbst in der Belegschaft drangen Worte wie ‚Geldmangel’ und ‚finanzieller Druck’ durch und damit fanden wohl auch ebenjene Leute Einlass in sein Haus, die Linda mit gerunzelter Stirn und Skepsis betrachtete.
Diese Besprechungen rührten an Michaels dunkle Seite, an seine so charakteristische Traurigkeit, die sich deutlich in seinen Augen spiegelte. Sie ließen Michael oft schwermütig zurück, sorgenvoll und unruhig. Rastlos begann er dann im Haus oder im Park umher zu wandern, in endlose, schwarze Gedanken versunken. Dann sang er keinen einzigen Ton. An diesen Tagen konnte ich seine Schritte in seinem Schlafzimmer hören, das über dem meinem lag. Er konnte nicht schlafen.
***
Es war Wochenende. Michael war mit seinen Kindern unterwegs und ich hatte frei. Ich buk für die Belegschaft ein paar nicht vollwertige Kalorienbomben und verbrachte die nächsten Tage in der Stadt, angefüllt mit dem, wofür ich eigentlich hergekommen war. Aber immer wieder glitten meine Gedanken zu Michael und den Themen, worüber alle, wenn auch hinter vorgehaltener Hand, immer wieder sprachen: Vom letzten Prozess, seiner instabilen Gesundheit und seiner ungewissen Zukunft.
Am späten Sonntagnachmittag belud ich meinen Rucksack mit Buch, Decke und einer Flasche Wasser und schlenderte durch den Park, Richtung Lieblingsbaum.
Der Abend war lau, der Himmel klar, die Sonne ging gerade unter. Sobald ich unter dem Baum saß, griff dessen majestätische Ruhe auf mich über. Ich breitete die Decke aus, fühlte mich geborgen unter den Ästen, und begann mit dem letzten Licht des Tages zu lesen. Nach einiger Zeit wurde es dunkel und ich schaltete meine kleine Leselampe ein. Das Buch war sehr intensiv und ich verlor mich darin.
„Was liest du da?“, fragte mich plötzlich eine Stimme aus dem Off. Herausgerissen aus meiner Bücherwelt, schaute ich verwirrt auf und registrierte zwei schwarze Hosenbeine.
Michael stand vor mir. Hastig rappelte ich mich hoch in eine sitzende Position und als ich nicht gleich antwortete, lächelte er und dieses Lächeln war so traumhaft, dass mir buchstäblich das Herz in die Magengegend plumpste.
„Hab ich dich erschreckt? Das wollte ich nicht, ehrlich“, sagte er und ging in die Hocke, um mir in die Augen sehen zu können. Aufmerksam musterte er mich und mir liefen Ameisen über mein Gesicht, aufgrund seines so tiefen, forschenden Blickes. Er wandte sich dem Buch zu.
„Ähm... du hast mich nicht erschreckt“, sagte ich endlich lahm und meine Stimme hörte sich einigermaßen bescheuert an. Michael nahm davon keine Notiz, jedenfalls keine sichtbare. Er nahm das Buch in seine großen Hände und las den Sanskrit-Titel.
„Was ist das?“, fragte er interessiert.
„Das ... das sind Schriften von indischen Weisen“, erklärte ich und kam mir doof dabei vor. Aber in Michael schien meine Antwort etwas auszulösen.
„Worum geht es da?“, wollte er wissen.
„Um ihre Gedanken...um das, was sie erkannt und erfahren haben …“, räusperte ich mich, da mir die Stimme wegknickte „ …es sind indische Philosophien, die…“
„Indische Philosophien!“, unterbrach er mich. Er hockte vor mir, mit dem Buch in der Hand und mir kam, dass das wohl ziemlich unbequem für ihn sein musste. Mutig klopfte ich auf die Decke und den Platz neben mir.
„Möchtest du dich setzen?“, fragte ich und lächelte ihn an.
„Oh ja, vielen Dank“, sagte Michael erfreut, obwohl es doch sein Garten war. Mit einer geschmeidigen Bewegung setzte er sich völlig zwanglos auf die Decke, um im gleichen Atemzug zu fragen:
„Was sind das für Schriften? Was sagen sie?“
Seine großen Augen sahen mich an, sein geschminkter Mund blieb zu und er schenkte mir die gleiche intensive Aufmerksamkeit wie seinen Kindern, wenn sie mit ihm sprachen. Und seine Ausstrahlung bestürzte mich. Zum ersten Mal war ich ihm
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