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Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition)

Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition)

Titel: Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Subina Giuletti
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Knie geschlungen, wandte sich sein Blick dem Wasser zu. Einzelne Haarsträhnen fielen ihm in die Stirn, über die dunkel geschminkten, riesigen Augen. Seine Wangenknochen drückten sich scharf durch die weiße Haut. Er erschien mir wunderschön in diesem Moment.
    „Glücklich sein“, wiederholte er leise. „Kann man das auf dieser Welt? Ist diese Welt nicht ein Ort des Leidens? Gibt es nicht genügend Menschen, die Glück verhindern? Sind wir nicht hier, um geprüft zu werden?“
    „Das sind viele Fragen“, lächelte ich, „aber…ja: Ich glaube, dass man glücklich sein kann auf dieser Welt - ich glaube sogar, dass das die höchste Aufgabe jedes Menschen ist. Ein weiser Mann hat mal zu mir gesagt: Glück ist ein hohes Ziel.“
    „Glück ist ein hohes Ziel“, rezitierte er. „Ja… das kann man wohl sagen.“
    Dann schwieg er wieder für eine Weile und ich genoss das in vollen Zügen. Mit Michael zu schweigen war, wie einem wunderschönen Song zu lauschen.
    „Was sagen sie noch?“, wollte er dann wissen. „Was sagen sie darüber, wie man dieses Glück erreichen kann? Und was ist für sie Glück?“
    „Sie sagen, dass Glück etwas ist, das im Inneren entspringt“, erklärte ich, verwundert, weil er doch genau dieses in mir initiiert hatte. „Glück, das man empfindet, weil die Rahmenbedingungen stimmen, sei kein echtes Glück, denn alles, was man verändern kann, was einem genommen werden kann, ist nicht Glück. Es geht aber darum, ein unantastbares, dauerhaftes Glück zu finden, eine tiefe Glückseligkeit, wenn du so willst…, eine, die durch nichts ins Wanken gebracht werden kann. Es geht darum, sich selbst zu finden, oder… Gott zu finden in sich selbst.“
    Er sah mich an.
    „Dauerhaftes Glück“, wiederholte er, „heißt das, dass du, wenn du das gefunden hast, nicht mehr leiden musst? Dass dir keine negativen Dinge mehr passieren?“
    „Äh... jein“, antwortete ich, „persönlich glaube ich, dass keine negativen Dinge mehr nötig wären, wenn wir da sind, wo wir alle hinwollen. Und selbst, wenn sie geschehen, leidest du nicht mehr, weil du sie vollkommen anders empfindest. Sie belasten dich nicht. Du bist davon unabhängig.“
    Michael nickte. „Das ist ein sehr schöner Gedanke. Ich habe mit einigen meiner Freunde schon mal darüber gesprochen.“
    „Und?“, fragte ich neugierig. „Was kam dabei heraus?“
    „Einer von ihnen hat mir ein Buch von Tagore gegeben. Kennst du Tagore?“
    „Ich habe noch nichts von ihm gelesen“, gab ich zu. „Was sagt er?“
    „Oh, er sagt viele weise und schöne Dinge“, lächelte Michael. „Eines meiner Lieblingstextstücke ist aus dem Gitanjali, das ist ein Lied an Gott.“
    Ein Lied an Gott. Das klang so schön aus seinem Mund. Warm lächelte ich ihn an und wir fühlten, dass wir uns auf einer Ebene verstanden, die mit Worten nicht erklärbar war. Diese Sekunde riss spürbar eine Schranke zwischen uns nieder, die Schranke, die Michael bei Erwachsenen immer oben hielt, um sich zu schützen, und ich freute mich über dieses stumme Zugeständnis nach so kurzer Zeit.
    Er lauschte in die Nacht. Es war fast greifbar. Er hörte etwas. Er hörte etwas zwischen oder in den Geräuschen der Natur, dem Zirpen der Grillen, dem Rauschen des Windes, dem Plätschern des Wassers. So dicht neben ihm sitzend, konnte ich spüren, wie er etwas empfing, wie er sich öffnete für eine Frequenz, die mir völlig fremd war, wie er die Musik einfing, die im Äther in unendlicher Fülle umherschwirrte, bereit, empfangen zu werden.
    Majestätisch stand der Mond am Himmel, eingerahmt von Sternen und Wolken. Der Wind sang sein Lied in den Bäumen. Er und die unermüdlichen Zikaden im Gras waren Michaels Orchester, als er begann, mit klingender Stimme, umhüllt von einer bestrickenden, unbekannten Melodie, die ihm so nah gehenden Zeilen von Tagore zu reklamieren:
    Wenn Du mich singen heißt,
    ist’s mir zumut,
    Als ob das Herz mir bräche
    Vor Stolz.
    Ich schaue in Dein Antlitz, und
    Tränen kommen mir.
    Es schmilzt in einer großen Melodie dahin,
    Was je in meinem Leben rauer Missklang war,
    Und mein Gebet entfaltet
    Seine Schwingen
    Dem frohen Vogel gleich,
    der sich zum Fluge
    Übers Meer erhebt.
    Ich weiß, Du findest Deine Lust
    An meinem Singen.
    Ich weiß, das ich als Sänger nur
    -nicht anders –
    Vor Deinem Angesicht
    erscheinen darf
    Mein Lied berührt nur mit
    Den Spitzen
    Seiner ausgestreckten Flügel
    Deine Füße,
    Könnt’ ich je hoffen, wagen,
    Ihnen mich

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