Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition)
legen ihm Handschellen an und behandeln ihn wie einen Schwerverbrecher, während draußen ungehindert jemand rumläuft, der ihn massiv bedroht?“
Sichtlich echauffiert hatte sich ihr Stimmvolumen erhöht, bis sie mich fast anschrie. Blass geworden sank ich an die Lehne der Küchenbank. Karens Augen veränderten sich und sie musterte mich, wie Grace es manchmal tat.
„Karen, du... ich...“, stammelte ich. Was hatte sie denn jetzt? Sie würde doch nicht glauben, dass ich...? Doch urplötzlich ließ ihre Körperspannung nach. Die Wut wich, der Ausdruck ihrer Augen changierte von Zorn und Misstrauen über „das trifft jetzt die Falsche“ zurück zu ihrem normalen, freundlichen Blick.
„Hör mal“, fragte sie dann resolut, „wie gut bist du über Michael informiert?“
„Wenig“, antwortete ich. „Ich musste mir Biographien kaufen, damit ich überhaupt etwas weiß.“
Ihre linke Braue hob sich leicht. „Was sagt dir der Name „Tommy Mottola? Tom Sneddon? Tohme Tohme? Branca? DiLeo ...und was sagt dir Martin Bashir?“
„Nicht viel. Bashir... Moment mal... ist das nicht der eine Journalist, der...“
„Genau, das ist der eine Journalist, der, ...“, erwiderte sie ironisch. „Ich war dabei, als Bashir Michael mit Engelszungen geschworen hat, welch eine Superdokumentation er über ihn machen würde! Oh, war die super! Ich würde dir empfehlen, du schaust dir das mal an, dann kannst du sicher verstehen, warum sich hier manche etwas paranoid aufführen. Was ist mit dem verflixten Kuchen? Der sieht echt lecker aus! Ich esse ihn auch warm.“
Ich lachte und schnitt ihr ein schönes, großes Stück ab. „Mann, du hast einen beneidenswerten Stoffwechsel – wo isst du das alles hin?“
„Ja, ist schon Scheiße, wenn man solche Sachen backen kann und sie dann selbst nicht essen will“, grinste Karen.
Als sie ging, sah sie mir intensiv in die Augen:
„Du musst Grace verstehen“, meinte sie. „Wir alle wollen Michael schützen, weil wir ihn...sehr lieben. Er ist unser aller Kind.“
Und sie meinte das nicht nur so, wie es sich im ersten Moment anhörte.
***
Für heute reichte es mir. Der Computer glotzte mich auffordernd an, als ich ins Zimmer ging und das Buch samt Zetteln dort verstaute. Ich fühlte mich müde.
Schließlich klappte ich ihn dennoch auf, die Bashir-Doku, starrte mich herausfordernd-süffisant an. Ich zögerte. In der Seitenleiste hingen weitere Videos. Auftritte, von Fans mitgeschnitten und ins Netz gestellt. „Michael doing jokes“, Michael’s best dance“ und so weiter.
Ich klickte diese an. Ich wollte Michael tanzen sehen. Ich wollte ihn glücklich sehen.
Die Nacht zog sich hin. Es war heiß. Immer wieder wachte ich auf. Überlegte, ob ich nach draußen gehen sollte, war zu faul. Hievte mich aus dem Bett, trank ein Glas Wasser. Wurde wach davon. Schaltete den Rechner an. Scrollen, klicken, zappen...eine Seite mit ‚rare moments’ erschien.
Momente, die Michaels außergewöhnliche, mitfühlende Persönlichkeit zeigten. Fasziniert beobachtete ich, welche Haltung er Menschen gegenüber einnahm:
Szene 1: Ein Mädchen, das zu ihm auf die Bühne darf. Sie umarmt ihn und wird ohnmächtig. Michael ruft nicht einfach die Security. Wie ein Ritter trägt er sie in seinen Armen bis an den Rand der Bühne und sorgt – singend – mit Handbewegungen und Blicken dafür, dass sie gut behandelt wird.
Eine weitere Szene: Michael performt seinen berühmten Earth-Song, während dem er mit einem Kran über die Zuschauermenge fährt, erst ca. einen Meter über deren Köpfe, dann hoch in die Luft hinauf. Einem wahnwitzigen Fan gelingt es auf das Gestänge zu klettern, Gott weiß, wie er das geschafft hat. Er zieht sich hoch zu Michael, steht außen am Geländer der Hebebühne, in der Michael singt. Sofort schlingt sich Michaels Arm schützend um den schmalen Körper des Fans. Keine Sekunde zu früh: In diesem Moment fährt der Kran in schwindelerregende Höhen. Triumphierend reißt der Fan die Arme hoch, er hält sich nicht fest. Michael drückt dessen Arm nach unten, zwingt ihn, sich festzuhalten, gleichzeitig schlingt er seinen zweiten Arm um ihn herum. Er kann den jungen Mann nicht zu sich auf die Plattform hieven, dazu ist sie zu klein. Aber er hält ihn fest, ganz fest, bis der Kran wieder nach unten fährt, viele Securityarme nach dem Verrückten greifen, ihn von Michael wegzerren, während Michael die Schulter des Fans fasst, so als ob er sich vergewissern will: Geht es dir gut?
Weitere Kostenlose Bücher