Try hard to love me / Versuch doch, mich zu lieben (German Edition)
Ist alles okay?
Während all dieser Dramatik singt er seinen Song weiter, in ungebremster Leidenschaft und ohne den Hauch einer Unsicherheit.
Szene 3: Ein Zoo. Ein abgetrennter Raum, eher eine Halle. Ein Mädchen, das zu ihm gebracht wird. Offensichtlich hat sie unerwartet eine Begegnung mit ihm gewonnen. Sie kreischt und schreit schon, als sie ihn von weitem sieht. Aber sie rennt eher weg von ihm. Sie ist so völlig durch den Wind, dass sie absolut gegenreagiert, völlig hysterisch. Der Bodyguard zerrt sie geradezu zu Michael hin. Der steht ruhig da, wartet, wirkt weder ungeduldig noch genervt. Dann ihr Switch: Sie kapiert, dass es tatsächlich Michael ist, der auf sie wartet, rennt auf ihn zu und knallt mit ihrem Körper auf den seinen (ich dachte mir – Gott, wie hält er so was nur aus?). Er weicht und wankt nicht, er hält sie einfach. Sie weint und weint und weint. Er hält sie, bis sie sich ausgeweint hat, bis sie ruhig ist, dann macht er sie sanft auf die Schönheit und Komik der Gorillas aufmerksam, versucht, sie zu beruhigen. Sie löst sich von ihm, entspannt und friedvoll. Er legt seine große Hand an ihre Wange, streicht ihr über’s Haar, schaut ihr in die Augen und fragt: „You are okay?“
Er redet so oft von Gott, von Demut, von Liebe, von Dankbarkeit, als wolle er uns an etwas erinnern. Die nächsten Szenen, die ich mir anschaue, sind Konzertmitschnitte.
Ich sehe ihn auf der Bühne, diesen schmalen, schüchternen, liebevollen Mann, der sein Herz für alle öffnet, der allen geben will, was er hat, der mit seinem Talent auf die Missstände hier auf der Erde aufmerksam macht und der sonst nichts weiter will als seine Ruhe. Da steht er, auf dem Platz seiner Berufung, im Scheinwerferlicht. Ich sehe, wie er tanzt, wie er singt, wie er steht, wie er gibt...wie er sich mit einer magischen Bewegung zum Publikum dreht. Sein Hemd flattert, seine Arme strecken sich den Menschen entgegen, er lacht, glücklich, durchströmt von Liebe und ruft: „I love you!“
***
Am Morgen danach hatte ich Kopfschmerzen, ich stand ungern auf. Als ich in die Küche kam, wurde meine Stimmung nicht besser. Grace und Linda standen zusammen und sahen mir beide unverkennbar misstrauisch entgegen.
„Guten Morgen“, grüßte ich geschockt.
Linda…bisher war sie immer meine Stütze hier gewesen - es tat mir weh, dass sie mich nun mit dem gleichen Misstrauen belud, wie Grace es tat. Die Zimmerdurchsuchung fiel mir ein. Ob das jetzt ein guter Zeitpunkt war – mit Kopfschmerzen und zwei giftigen Gesichtern, die mich anstarrten? Doch ohne recht zu wissen, was mich trieb, steuerte ich auf die beiden zu.
„Gut, dass ich euch zusammen treffe“, sagte ich gespielt munter – was mich noch schräger aussehen ließ, weil es falsch klang. „Ich hätte gern etwas angesprochen.“
Grace zog die Augenbrauen hoch. Linda war verlegen und deutlich auf Abstand eingestellt, was mich verletzte. Und wie immer, wenn mir solche Kleinigkeiten passierten, gingen meine Gedanken zu Michael, dessen soziale Ausgrenzung und Ächtung hochpotenziert abgelaufen war. Das gab mir Mut.
„Mein Zimmer ist durchsucht worden“, erklärte ich, „meine persönlichen Sachen, mein Portemonaie, Fotoapparat, Computer, sogar meine Wäsche …“
Lindas Augen wurden groß und sie schaute überrascht zu Grace, die sich nicht rührte.
„Fehlt was?“, fragte sie schnippisch.
„Äh...nein, aber...“
„Was willst du dann?“, schnappte sie, drehte sich um und verschwand. Ich wandte mich Linda zu.
„Kannst du mir vielleicht erklären, was ihr alle habt?“ fragte ich ärgerlich. „Hab ich ne ansteckende Krankheit oder was?“ Ich kam mir blöd vor, als ich das sagte. Immerhin wusste ich ja, was alle dachten. Linda räusperte sich. Aber sie wurde freundlicher.
„Chirelle, Schätzchen…“, fing sie an und hatte sichtlich keine Ahnung, wie sie das Thema auf den Tisch bringen sollte.
Nach ein paar Sekunden peinlichen Schweigens ergriff ich die Initiative.
„Linda. Ich weiß, ihr glaubt, ich würde die Gespräche, die Michael mit mir führt, ausnutzen. Sag mir bitte eines: Gibt es irgendetwas, was ich tun kann, damit ihr beruhigt seid?“
Linda sah mich mit unglücklichen Hausfrauenaugen an, unglücklich deswegen, weil sie nicht diejenige sein wollte, die dieses potenzielle linke Ei, mich, ins Haus gebracht haben wollte. Meine Unschuldsbeteuerung nutzte gar nichts. Linda holte tief Luft.
„Chirelle, du musst verstehen, dass wir alle Michael sehr,
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