TS 04: Das endlose Schweigen
auszuziehen. Dann legte er sich hin und zog die weißen Laken bis zum Hals hoch. Gleichzeitig stieß er das Fenster ein wenig auf. Kein Laut war zu hören, nur das leise Rascheln von Mädchenkleidern.
Dann knarrte das Bett neben ihm und er hörte ein unterdrücktes Seufzen.
„Gute Nacht!“ sagte Irma und kroch unter die Decken.
3. Kapitel
Die ersten Strahlen der Sonne weckten ihn auf. Im ersten Augenblick wußte er nicht, wo er sich befand und wie er hierher gekommen war, doch dann erinnerten ihn die stillen Straßen vor dem Fenster wieder an das, was vorgefallen war. Er lebte immer noch, das war sein erster überraschender Gedanke.
Er warf einen Blick auf das Bett neben sich und setzte sich dann mit einem Ruck aufrecht. Die Kissen waren zerwühlt und – das Mädchen verschwunden. Das Paket mit den Juwelen lag auch nicht mehr auf dem Tisch, wohl aber die Taschenlampe.
Mit einem Fluch sprang er aus dem Bett und lief mit bloßen Füßen zur Tür. Sie war abgesperrt.
„Verdammte Krabbe!“ knurrte er wütend. „Erst neunzehn Jahre und schon so verdorben!“
Er wußte seit gestern, daß sie tatsächlich neunzehn Jahre alt war.
Langsam zog er sich die Hosen an und ging ins Nebenzimmer. Irma hatte vergessen, hier den Schlüssel abzuziehen. Im Badezimmer lief natürlich kein Wasser, aber im Reservoir der Toilette befand sich welches. Es kostete zwar einige Mühe, an es heranzukommen, aber schließlich gelang es.
Das kalte Wasser erfrischte ihn und gab ihm einen Teil seiner alten Selbstbeherrschung zurück. Beim Abtrocknen warf er einen Blick in den Spiegel und erschrak.
Er hatte einen regelrechten Stoppelbart.
Nachdem er sich angezogen hatte, eilte er die Treppen hinunter zum Empfangsraum. Alles war leer, und nichts verriet die Anwesenheit von Menschen. Direkt neben dem Hotel war ein Friseursalon. Er schlug die Scheiben ein, holte sich alles heraus, was er zu einer Rasur benötigte, und kehrte in das Hotelzimmer zurück, wo er begann, sich den Bart abzuschaben, nachdem er Wasser geholt hatte.
Er befand sich rein zufällig in dem noch unbenutzten Raum und zuckte zusammen, als er plötzlich nebenan ein Geräusch hörte. Vorsichtig schritt er zur Verbindungstür und lugte durch den Schlitz. Quer über seinem durchwühlten Bett lag Irma und schluchzte in die Kissen. Er wunderte sich, daß er sie nicht früher bemerkt hatte.
Er trocknete sein Gesicht ab und öffnete die Tür.
„Warum heulst du denn so erbärmlich?“
Das Mädchen fuhr aus den Kissen hoch und starrte ihn mit aufgerissenen Augen an.
Dann stieß sie einen spitzen Schrei aus, sprang aus dem Bett und fiel ihm um den Hals.
„Ich dachte, du hättest mich verlassen“, brachte sie unter neuen Tränen der Freude hervor.
Sie hielt ihn fest umschlungen.
Er machte sich mühsam frei.
„Dasselbe habe ich von dir angenommen.“
Keine Antwort.
„Wo bist du gewesen?“
Sie lächelte und zeigte zum Bett.
„Sieh nur, was ich da habe. Sind sie nicht wundervoll?“
Er sah den Sack und bemerkte, daß er bis obenhin angefüllt war mit irgendwelchen Dingen.
Doch als sie zum Bett eilte und den Inhalt auf das Laken schüttete, betrachtete er ihre Beute ohne jedes Verständnis.
„Lieber Himmel! Wo hast du denn den Plunder her? Kann man den vielleicht essen?“
„Sie gehören mir, mir ganz allein!“ rief sie und wühlte mit begierigen Händen in den Juwelen herum. „Sind sie nicht herrlich?“
„Du kannst sie nicht essen!“ wiederholte er energisch. „Wenn du am Leben bleiben willst, dann besorge Konserven und Fruchtsaft.“
„Nie im Leben habe ich Juwelen besessen“, schüttelte sie trotzig den Kopf. „Wie könnte ich sie jetzt wieder hergeben?“
Er warf ihr einen wütenden Blick zu und schritt zur Tür.
„Ich gehe frühstücken. Kommst du mit?“
Ohne eine Antwort abzuwarten, trat er hinaus auf den Gang.
* *
*
Sie setzten sich auf den Bürgersteig vor einem Lebensmittelgeschäft und öffneten die Dosen, die sie daraus gestohlen hatten. Viel Appetit verspürten sie noch nicht, aber sie wollten für schlechtere Zeiten Vorsorgen. Dann fragte Gary nach einem Automobilgeschäft. Er wollte einen leichten Wagen haben, der nicht viel Benzin fraß. Sie führte ihn zu einer großen Vertretung, und er entschied sich für ein Vorführmodell Studebaker.
„Warum bist du so kritisch?“ wunderte sie sich. „Du kannst doch einfach einen Wagen von der Straße nehmen. Niemand kümmert sich darum.“
„Ich will einen
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