TS 04: Das endlose Schweigen
allmählich wurde es dunkel. Immer weiter eilte er, ohne eine Spur des Unbekannten zu entdecken. Alles war still, und nicht das leiseste Geräusch verriet die Nähe eines Menschen.
Nach der dritten Kreuzung wußte er, daß er zu weit gelaufen war. Er mußte an dem Gesuchten vorbei sein. Langsam drehte er sich um und ging den gleichen Weg wieder zurück. Plötzlich sah er nicht weit vor sich das kurze Aufflackern eines Lichtes, vielleicht einer Taschenlampe.
Vorsichtig näherte er sich der Stelle und stand dann vor einem Juweliergeschäft. Also doch Plünderer! Aber warum ausgerechnet Juwelen? Wo jedes Geschäft von seinem Inhaber verlassen war und man sich nehmen konnte, was man wollte.
Erneut flackerte das Licht auf, und er konnte die vage Silhouette flüchtig erkennen. Er kroch näher und hörte plötzlich einen erfreuten Ausruf.
Der Plünderer war eine Frau.
Gary blieb genau an der Stelle, an der er sich befand. Es würde wenig Zweck haben, die Frau zu erschrecken. Vielleicht war sie auch bewaffnet und würde auf ihn schießen, obwohl er sie nicht daran hindern wollte, sich zu nehmen, was sie wünschte. Er interessierte sich nur für sie, aber nicht für die Juwelen. Also blieb er auf der Straße und wartete.
Zweimal trat sie auf die Straße hinaus und schaute, ob niemand kam, aber sie sah ihn nicht. Wie ein lebloses Bündel hockte er auf dem Bürgersteig.
Er hörte, wie sie drinnen ihre Beute zusammenpackte.
Als sie endlich den Laden verließ, trug sie ein großes Paket unter dem Arm. Gary spannte seine Muskeln und wartete. Er lag auf der Erde, als sei er nur einer der vielen Toten. Die Fremde machte einen kleinen Bogen um ihn – und er sprang.
Die Frau schrie voller Entsetzen auf und machte eine unvorsichtige Bewegung. Sofort stolperte sie und fiel zu Boden. Gary war Sekunden später über ihr und hielt ihre Arme gegen die Erde gepreßt. Mit einer Hand versuchte er, ihre Schreie zu unterbinden.
„Sei doch ruhig, ich tue dir nichts!“ sagte er hastig.
Sie aber biß ihn in die Hand und rief halb erstickt:
„Du bist ein Cop, ein verdammter Cop!“
„Ich bin nicht von der Polizei, halt doch deinen Mund und schrei nicht so in die Gegend hinein!“
Er erwischte ein Stück ihres Kleides und stopfte es ihr in den Mund. Sofort wurde sie still, aber sie versuchte zu treten und zu kratzen. Nur unter Aufbietung all seiner Kräfte konnte Gary sie bändigen.
„Wenn du jetzt nicht aufhörst, dann – dann …“
Er hielt ihr seine geballte Faust vor das Gesicht.
Vorsichtig zog er ihr dabei den Knebel wieder aus dem Mund.
„Nimm dir doch das Zeug!“ sagte sie wütend. „Nimm es dir und laß mich in Ruhe!“
„Du kannst es behalten, denn ich will es nicht“, gab er zurück und fühlte, wie sie sich entspannte. Da ließ er sie los. Sie richtete sich ein wenig auf. In der Dunkelheit war sie kaum zu erkennen.
„Du willst die Juwelen nicht?“ kam ihre verwunderte Stimme. „Was willst du dann?“
„Dich!“ sagte er brutal.
„Ich kann dich nicht daran hindern.“
„Rede doch keinen Unsinn!“ wies er sie zurecht. „Du und ich, wir beide sind die letzten Überlebenden in dieser Stadt. Begreifst du das endlich?“
„Ich glaube schon.“
Er bemerkte erst jetzt, daß ihre Stimme hell und schüchtern klang. In einem plötzlichen Verdacht suchte er nach der Taschenlampe, die sie fallen gelassen hatte, fand sie und schaltete sie ein. Der Schein fiel auf ein verängstigtes und schmales Gesicht, aus dem ihm zwei aufgerissene, blaue Augen entgegensahen.
„Lieber Himmel, du bist ja noch ein Kind!“
„Ich bin neunzehn!“ rief sie zornig.
Er löschte das Licht.
„Siebzehn vielleicht, mehr aber nicht!“
„Neunzehn!“
„Wie heißt du?“
„Irma Sloane. Und du?“
„Russell Gary. Wirst du jetzt vernünftig sein?“
„Ja, natürlich. Aber zuerst mußt du mir helfen, die Juwelen wieder zusammenzusuchen. Es ist deine Schuld, daß sie nun auf der Straße herumliegen.“
Er leuchtete mit der Lampe, während sie sich daran machte, ihre Beute wieder aufzusammeln.
Langsam wurde er ungeduldig.
„Was willst du nur mit dem Kram?“ fragte er. „Es gibt genügend andere Geschäfte hier in der Stadt.“
„O ja, das stimmt! Ich kenne sie alle. Morgen werden wir in ihnen herumstöbern, wir beide. Du kommst doch mit?“
„Den Teufel werden wir! Morgen verlassen wir die Stadt, denn wer weiß, wie es bereits morgen abend hier aussieht. Du darfst die vielen Leichen und die warme Sonne nicht
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