TS 04: Das endlose Schweigen
geschwärzten Ruinen bewiesen das eindeutig. Es war Abend, und über der ganzen Stadt lag ein roter Schimmer. Chikago hatte sich in ein riesiges Krematorium verwandelt.
Gary stand neben dem Wagen und starrte zu der nahen Stadt hinüber. Er unterdrückte den bissigen Fluch, der sich auf seine Lippen drängte.
„Russell –“, sagte das Mädchen und schmiegte sich an ihn. „Ist es nicht gefährlich? Wenn das die Bomben taten, müssen wir fort.“
„Vielleicht hält die Wirkung nicht so lange an, wir wissen es nicht.“
Er versuchte, sich an Armeeanweisungen zu erinnern, aber es gelang ihm nicht. Mit einem bakteriologischen Krieg hatte man im Zeitalter der Atombomben am allerwenigsten gerechnet.
„Laß uns gehen!“ sagte Irma. „Ich habe Angst.“
Er nickte und sie kletterten wieder in den Wagen. Sie ließen die brennende Stadt hinter sich und fuhren einfach einer breiten Straße nach. Gary kam es mit einem Male zum Bewußtsein, wie verlassen er war, und wie wenig er von dem wußte, was vorgefallen war. Zweimal versuchte Irma, ihn etwas zu fragen, aber er reagierte nicht darauf.
„Ich habe dich gefragt, wo wir schlafen werden!“ sagte sie jetzt wütend.
„Keine Ahnung. Irgendwo.“
„Wir sind an einigen Motels vorbeigefahren.“
„Ich kehre jetzt nicht um. Vielleicht kommt noch eins.“
* *
*
Das Aufwachen am anderen Morgen unterschied sich kaum von dem der vorhergegangenen Tage. Gary rollte sich aus den Laken und versuchte, die grauenhafte Erinnerung an das brennende Chikago aus seinem Gedächtnis zu verbannen. Aber immer wieder mußte er daran denken, ob noch jemand in der großen Stadt lebte, oder ob –wirklich alles tot war.
Wie konnte Chikago zerstört sein? Unterschied es sich nicht von jenen Städten in Europa, die im Krieg brutal von Bomben zerrissen wurden?, War es nicht eine amerikanische Stadt, während jene Städte Fremden gehörten?
Daß es gerade Chikago war, verletzte seinen Stolz.
Er stand auf und zog sich an, ohne sich um das noch schlafende Mädchen zu kümmern. Dann ging er hinaus und betrachtete den rötlich angehauchten Himmel.
* *
*
Gary lenkte den Wagen nach Westen.
Dort gab es noch weites, freies Land und die Möglichkeit, die Katastrophe zu überleben. Vielleicht fand er hier auch die Armee. Er hatte den Tank frisch aufgefüllt an der verlassenen Station und hoffte, weiter westlich endlich auf Menschen zu stoßen.
Vorerst änderte sich nichts. Wenn sie Menschen fanden, so wehrten sich diese mit Waffengewalt gegen jede Annäherung und verweigerten jegliche Auskunft auf seine Fragen. Er fand sogar einen Farmer, der auf dem Feld arbeitete, bewacht von seinen mit Gewehren bewaffneten Söhnen.
Eine Annäherung war unmöglich.
Kleinere Städte waren meist nur noch ausgebrannte Ruinen, und die besetzten Festungen gleichenden Farmen wirkten wie sichere Inseln dagegen.
Einmal passierten sie eine heil gebliebene Stadt. Gary konnte fühlen, wie die Menschen hinter den Fenstern lauerten und ihm nachblickten. Erst am Ausgang wurde er von einer bewaffneten Streife angehalten. Er erklärte, die Armee zu suchen, zeigte seinen Ausweis und durfte dann weiterfahren. Neues konnte man ihm nicht erzählen, denn man wußte selbst nichts.
Das Radio schwieg noch immer.
In einer Stadt nahe am Mississippi hatte er mehr Glück. Der Dorfdrucker hatte eine Zeitung mit zwei Seiten fertiggestellt und verkaufte sie zu Höchstpreisen. Die Neuigkeiten darin stammten von Durchreisenden und Flüchtlingen, da sonst jede Nachrichtenquelle fehlte. Viel war es nicht.
Jede Stadt im Umkreis war bombardiert worden, sofern sie eine gewisse Bedeutung besaß. Der Feind war unbekannt geblieben, wenn auch die Vermutungen in ein und dieselbe Richtung wiesen. Es waren normale Spreng- und Brandbomben geworfen worden, aber auch Bomben, die den schleichenden Tod verbreiteten, schneller oder langsamer, je nach der gesundheitlichen Konstitution des Betroffenen. Selbst wenn die Flüchtlinge schon mehrere Tage unterwegs waren, konnten sie noch sterben, denn sie trugen den Tod mit sich.
Gary fragte den Drucker:
„Wo ist die Armee?“
„Dort, im Westen. Mein Sohn hat Soldaten gesehen.“
„Wo genau?“
„Auf der andern Seite des Flusses.“
„Danke. Ich werde mich bei ihnen melden.“
Der Drucker schüttelte den Kopf.
„Das wird nicht gehen. Sie lassen keinen über den Fluß.“
„Warum denn nicht?“
„Keine Ahnung. Alle Brücken wurden
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