TS 12: Unternehmen Schwerkraft
sich geschlagen geben. Gleich der erste Fjord, den sie erkundeten, schlug an seinem Ende einen Haken und führte zu einem kleinen, von sanften Abhängen umgebenen See mit breiten Strandufern; ein Landeplatz, wie man ihn sich nicht besser denken konnte.
Es blieb ausreichend Zeit, Schiff und Ladung an Land zu bringen, ehe der Sturm hereinbrach. Zwar war das, was später über sie hinwegheulte, nur ein Ausläufer des Zyklons, doch hätte es genügt, die Bree hilflos gegen einen Felsen zu schlagen, wenn sie sich noch draußen vor den Fjorden befunden hätte. Nach einigen Tagen klärte sich der Himmel, doch der Sturm wehte mit nahezu unverminderter Heftigkeit weiter.
Bei der Erkundung der umliegenden Berghänge machte Barlennan eine verwirrende Feststellung. Seemuscheln, Seegras und Knochen von allem möglichen Seegetier lagen verstreut zwischen der niederen Vegetation, jedoch nicht nur am Strand, sondern auch an den Hängen hinauf bis zu einer Höhe von vollen zehn Metern. Sollte sich der Meeresspiegel hier in derart unglaublichem Maße heben? In diesem Fall war die Bree an keinem so sicheren Liegeplatz, wie ihre Besatzung annahm. Doch konnten nach Barlennans Ansicht nicht die mesklinischen Stürme für diese Erscheinung verantwortlich gemacht werden, die niemals über eine gewisse Stärke hinausgehen.
Ein einziger Faktor ist hierfür verantwortlich zu machen: Methandampf ist weit dichter als Wasserstoff. Auf der Erde ist der Wasserdampf leichter als die Luft und trägt in entscheidendem Maße zu der Entwicklung von Wirbelstürmen bei. Bei den mesklinischen Stürmen hingegen setzt das verdunstete Methan den aufsteigenden Strömungen sehr bald ein Ende entgegen. Auch ist die Wärme, die es bei der Kondensation zu Wolken abgibt, nur etwa ein Viertel so groß wie die einer gleichen Menge Wasser. Und diese Wärme ist der Nährstoff der Wirbelstürme, sobald die Sonne einmal den Anstoß gegeben hat.
Dennoch ist auch mit mesklinischen Hurrikanen nicht zu spaßen, wie Barlennan und die Besatzung der Bree sehr bald erkennen mußten. Der Wind hatte unvermittelt um neunzig Grad gedreht, und jetzt traf sie das, was das Auge des Sturmes zu sein schien. Mit hundert Stundenkilometern jagte er heran, und mit ihm kam die Flut. Nicht gerade eine zehn Meter hohe Welle, wie Barlennan aus der Lage der Tierskelette befürchtet hatte, aber sie reichte, die Bree von ihrem Liegeplatz zu heben und auf den kleinen See hinauszutreiben. Dort packte sie der Sturm mit ungebändigter Kraft, zerbrach ihre Masten, wehte zwei Matrosen, die sich nicht genügend gesichert hatten, über Bord und wirbelte das Schiff herum wie eine Nußschale. Dann drückte er es in eine kleine Bucht, in die ein jetzt hochgehender Fluß mündete, und ehe sich Barlennan und seine Mannschaft versahen, hatte er sie ein ganzes Stück flußaufwärts getrieben.
Hätte der Tag noch länger gedauert, so wäre Barlennan immer noch in der Lage gewesen, das havarierte Schiff in der Strömung des Flusses zum See zurückzuführen, als die Kraft des Sturmes endlich gebrochen war. Im undurchdringlichen Dunkel der Nacht war er jedoch hilflos, und als der Morgen graute, war der Flutwelle die Ebbe gefolgt und ließ die Bree als zerschlagenes Wrack auf dem Ufer des jetzt seichten Flusses liegen, auf dem nicht einmal eines der Teilflöße zur See hätte hinunterschwimmen können. Und die schlaffen Formen eines zehn Meter langen Seeungeheuers, das auf dem anderen Ufer des Flusses gestrandet lag, veranschaulichte so recht die Ohnmacht des Unternehmens Schwerkraft gegenüber den Naturgewalten.
12. Kapitel
Vieles von dem, was sich ereignet hatte, war von Toorey aus beobachtet worden; glücklicherweise waren die drei Radios vor Ausbruch des Sturmes mit Seilen gesichert worden und – wie auch die meisten weniger wichtigen Gegenstände – an Bord geblieben. Nur die Vorräte im Kanu waren verschwunden, und Dondragmer nahm die Gelegenheit war, auf die Vorzüge von Flößen gegenüber hohlen Schiffen hinzuweisen. Das Kanu selbst hing jedoch immer mit seinem Seil am Heckfloß der Bree.
Der Ernst der Lage war auch dem letzten Meskliniten klar. Schiff und Kanu waren heil geblieben, doch fehlte beiden das Meer, auf dem sie schwimmen konnten. Zwischen ihrem jetzigen Standort und dem östlichen Ozean lag ein breite, sanft gewölbte Hügelkette.
„Der einzig mögliche Weg ist, das Schiff zu zerlegen – wie wir es schon einmal taten – und über die Hügel zu tragen“, sagte Barlennan nach
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