TS 16: Einer von Dreihundert
bei jeder Bewegung etwas mehr in ihre eigenen Taschen floß. Sie waren es, die den Markt mit schlechter Währung überfluteten – Versprechen, die niemals eingehalten wurden –, während das echte, gute Geld – die Versprechen von Leuten, die ihr Wort hielten – ihre eigenen Taschen füllten.
Wir konnten diesen Vorgängen zwar keinen Einhalt gebieten, aber wir mußten Ordnung und System hineinbringen.
Die Leutnants wurden also neben allem anderen auch noch Bankiers. Es wurden Scheine für eine, fünf und zehn Arbeitseinheiten eingeführt. Aus dem Wort „Arbeitseinheit“ wurde bald „Arbi“. Jede Arbi mußte ein echtes Arbeitsversprechen darstellen und von einem Leutnant gegengezeichnet werden. Bald benutzten wir Papier mit Wasserzeichen, und damit hatten wir unser neues Geld.
Bald geschah noch etwas anderes.
Morgan erschien eines Tages nicht zur Arbeit, sondern an seinerStelle kam jemand anders, ein Tscheche, der sehr wenig Englisch sprach. Ich forschte nach und stellte fest, daß er dafür bezahlt worden war, Morgans Arbeit zu tun. Er war ein kräftiger, ehrlicher Bursche, der für zwei arbeiten konnte. Seine eigene Arbeit mußte er ohne Bezahlung tun, aber für das zusätzliche Tagewerk bekam er Geld. Er hatte es wohl irgendwie erreicht, daß seine eigene Arbeitsgruppe ihn beurlaubte, vielleicht dadurch, daß er drei Tagewerke in zwei Tagen tat.
Ich konnte nichts dagegen machen. Ich wußte nicht, woher Morgan das Geld hatte – er war kein smarter Geschäftsmann, der jede Gelegenheit benutzen konnte, um Geld herauszuschlagen –, aber ich konnte es mir denken. Alec Ritchie war ein solcher Geschäftsmann, und er hatte die Gelegenheit benutzt.
Die Wiedereinführung bezahlter Arbeit war nicht das einzig Denkwürdige, das an diesem Tage geschah.
Gruppe 94 wurde zu den Ausschachtungen versetzt. Leslie, Betty und ich gingen voraus, um zu sehen, was dort zu tun war.
Betty erschien uns unnatürlich heiter. Normalerweise war sie nicht gesprächig, aber heute redete sie so viel, daß wir kaum zu Worte kamen. Leslies fragender Blick traf mich ein- oder zweimal, und ich wollte schon Betty fragen, was geschehen sei. Natürlich hatte es mit Morgan zu tun.
Aber als Betty eine Pause machte, fragte Leslie sie plötzlich: „Fühlst du dich wohl, Betty?“
Anscheinend hatte sie irgend etwas an Betty beobachtet, das mir entgangen war. Ich hatte nicht bemerkt, daß Betty körperlich etwas fehlte. Daß Leslie recht hatte, merkte ich an Bettys schneller Antwort:
„Ja, es ist nur der Luftdruck. Mir geht es gut.“
Als Betty diese neue und doch schon wieder alte Ausrede gebrauchte, wußte ich, daß sie uns etwas verbarg.
„Ist dir schlecht, Betty?“ fragte ich.
„Nein, es ist nichts. Bitte sprich nicht darüber.“
Etwa zwei Minuten später brachte ein plötzlicher Windstoß sie ins Wanken. Ich fing sie sachte auf, und bei meiner Berührung sank sie ohnmächtig zusammen.
Ich schritt auf und ab, während Leslie sich über Betty beugte.
„Sieh sie dir an, Bill“, sagte Leslie. Ich hatte nie eine solche Wut in ihrer Stimme gehört.
Von Bettys Schwangerschaft war noch nichts zu sehen. Ihr Leib war flach – und er war über und über mit braunen und blauen Flecken bedeckt. Unterhalb ihrer Taille gab es kaum einen Quadratzentimeter unverletzter Haut. Kein Wunder, daß sie bei der kleinsten Berührung ohnmächtig geworden war. Ich konnte mir kaum vorstellen, wie sie zu diesen Beulen und Blutergüssen gekommen war. Einfache Faustschläge konnten es kaum gewesen sein.
„Nun muß ich ihn doch schlagen“, sagte ich müde, „und wenn wir ihn nicht Tag und Nacht beobachten, wird er sich an Betty rächen, bis er sie schließlich umbringt. Dann können wir Morgan erschießen oder aufhängen und haben etwas reinere Luft.“
Betty regte sich und öffnete die Augen. Mit einer krampfhaften Bewegung richtete sie sich auf, das Gesicht schmerzverzerrt, und zog ihren Anzug herunter.
„Ich bin gefallen“, sagte sie schnell. „Es war gestern in dem Sturm …“
„Zum Teufel nochmal, du willst doch jetzt nicht etwa Morgan noch in Schutz nehmen?“ rief ich.
„Es war nicht Morgan, es war …“
„Wie hat er das gemacht?“ fragte ich.
Sie kapitulierte und weinte, wie ich noch nie eine Frau hatte weinen sehen.
Mit tränenerstickter Stimme erzählte sie in abgerissenen Sätzen, was geschehen war.
Morgan war am Abend vorher kurz nach Sonnenuntergang mit ihr weit in die Wüste hinausgegangen. Er hatte ihr gesagt, daß
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