TS 16: Einer von Dreihundert
unsere Existenz. Wer nicht seine Pflicht tat, mußte dazu gezwungen werden.
Ich versuchte, Morgan seine Essensrationen zu entziehen, aber ohne Erfolg. Betty teilte die ihren mit ihm, das wußte ich, aber ich konnte sie schließlich nicht auch bestrafen.
Sammy wunderte sich, daß ich den anderen Vorschlag nicht befolgte. „Ich dachte immer, du wärest ein Rauhbein, Bill“, sagte er, „aber jetzt, wo Morgan einen Tritt in den Hintern braucht, gibst du ihm keinen.“
Ich zuckte die Achseln. „Ich glaube nicht, daß es bei Morgan irgendwie helfen würde. Er wird bloß noch verstockter in seinem Haß auf uns alle und versucht, sich zu rächen.“
Morgan hatte sich mit einem alten Bekannten von mir, Alec Ritchie, angefreundet, der gerade mit einem Gehgips aus dem Krankenhaus entlassen worden war.
„Ich habe Ritchie noch nie leiden können“, sagte Sammy zu Leslie und mir, „und jetzt, wo er sich mit Morgan zusammentut, weiß ich, daß ich recht gehabt habe. Was mir auch nicht gefällt, sind seine Blicke auf Aileen Ritchie.“
„Hast du ein Auge auf Aileen geworfen?“ fragte Leslie interessiert.
„Darauf habe ich gewartet“, sagte Sammy. „Nicht ich, sondern Morgan!“
„Oh mein Gott“, sagte ich, neue Schwierigkeiten voraussehend.
„Das wäre Bettys Ende“, sagte Leslie heftig. „Sie würde sich das Leben nehmen. Das arme Kind betet Morgan immer noch an.“
„Ich weiß“, sagte Sammy, „und deshalb macht mir die Sache Sorgen.“
„Aber Aileen würde doch nicht so dumm sein …“
„Hoffentlich nicht“, sagte ich. „Aber, ehrlich gesagt, ich kann mir Betty nicht glücklich vorstellen, solange Morgan sie nicht verläßt. Sie ist bestimmt nicht glücklich mit ihm.“
Es folgte ein unbehagliches Schweigen. Niemand konnte Betty helfen. Sie durchlebte eine von jenen rein privaten Tragödien, die niemand teilen oder verstehen kann und die die meisten Menschen am liebsten übersehen.
Ich fragte mich, was Ritchie wohl mit Morgan vorhatte.
16. Kapitel
Manchmal im Laufe der Wochen erinnerte ich mich an Ritchies Worte und dachte darüber nach, ob wohl unter den Flüchtlingen von der Erde einer war, der nur darauf wartete, die Macht über Winant an sich zu reißen. Es war möglich. Es war sogar sehr gut möglich.
Solange wir alle noch vierzehn Stunden am Tag arbeiteten, brauchten wir keine andere Regierung als das Parlament. Menschen, die genug zu tun haben, brauchen keine Regierung und auch nicht viele Gesetze.
Aber einmal würde sich die Lage ändern. Und was taten wir, um uns auf die Zeit vorzubereiten, wenn wir nicht mehr einzig und allein damit beschäftigt waren, uns am Leben zu erhalten? Nichts.
Jedenfalls wurde offiziell nichts getan. Ritchie natürlich bereitete sich vor. Ich kannte seine Pläne nicht, aber ich wußte, daß sie alle auf eins hinausliefen: Möglichst viel Macht, Erfolg, Komfort, Sicherheit und Freiheit für Alec Ritchie.
Und wenn es einen Alec Ritchie gab, dann gab es auch mehrere. Vielleicht würde Ritchie selber gar keinen Erfolg haben, aber ein anderer Schlaumeier, ein größerer und raffinierterer Ritchie, bereitete jetzt vielleicht schon eine Zukunft vor, von der sich das Parlament nichts träumen ließ, eine Zukunft, die die unsere verschlingen würde. Ritchie hatte es klar und deutlich ausgedrückt.
Es gab bisher noch kein Geld in unserer Siedlung, und viele Leute dachten wie ich, daß man sehr gut ohne es auskommen könne. Als jedoch die sogenannten Arbeitseinheiten eingeführt wurden, mußten auch wir Leutnants Notiz davon nehmen.
Der Grundgedanke war der, daß jeder, der etwas von einem anderen haben wollte, dafür dem anderen irgendeine Dienstleistung oder Arbeit versprach, die er bei der nächsten Gelegenheit für ihn tun wollte. Manchmal bestand das Versprechen auch darin, den verkauften Gegenstand später durch einen anderen von etwas besserer Qualität zu ersetzen. Diese Versprechen wurden schriftlich abgegeben, und, wie nicht anders zu erwarten, wurden sie bald verkäuflich.
Als wir merkten, daß man sich um diese Neuerung kümmern müsse, war es schon zu spät, um den ersten Spekulanten das Handwerk zu legen. Mit ihrem unheimlichen Geschäftsinstinkt hatten sie alles verkauft, was sie hatten, und auch was sie nicht hatten, die eingehandelten Arbeitsversprechen gegen andere vertauscht, eigene ausgegeben, sie im richtigen Augenblick an die richtigen Leute verkauft, ihre eigenen Versprechen zurückgekauft und alles in Bewegung gehalten, wobei
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