Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
TS 16: Einer von Dreihundert

TS 16: Einer von Dreihundert

Titel: TS 16: Einer von Dreihundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. T. McIntosh
Vom Netzwerk:
Allmählich bekamen die Felswände eine Betonverkleidung, und die einzelnen Stockwerke erhielten Fußböden und Wandanstriche. Wir waren keine primitiven Höhlenbewohner mehr. Unsere Zimmer sahen fast so aus, wie wir es von der Erde her gewohnt waren. Zwar konnten wir die Wände nicht tapezieren oder mit Holz täfeln, und wir hatten kein Material für Gardinen und Sesselbezüge, aber wir hatten genügend Verputz und Farbe, und mit der Zeit wurden Plastikfolien entwickelt, die Stoff und Leder ersetzten.
    Eine Stufe nach der anderen wurde erklommen. Wir bekamen elektrisches Licht, Wasserklosetts und Bäder. Der ganze Block erhielt ein gut funktionierendes elektrisches Heizsystem. In die Vorderzimmer wurden große Fenster eingebaut.
    Früher hatten wir auf Leitern an der Felswand hinauf zu unseren Wohnungen klettern müssen, und zwei oder drei von uns hatte der Sturm heruntergerissen und getötet. Jetzt gab es im Inneren des Blocks, hinter den Wohnungen, zehn breite Treppenhäuser. Bald sollten auch Fahrstühle eingebaut werden.
    Wir hätten zuversichtlich in die Zukunft schauen können, wenn Ritchie nicht gewesen wäre. Er arbeitete weiterhin unermüdlich an seiner selbstgestellten Aufgabe, alles zu unterminieren, was getan wurde, und sein Erfolg war beträchtlich. Nachdem ich aufgehört hatte, ihn zu unterschätzen, sah ich das klar.
    Im Parlament wurde es immer schwerer, Leute zu finden, die gegen Ritchie Stellung nahmen.
    Obwohl Ritchie so stark war wie ein Bulle, hatte er in Winant niemals irgendwelche Arbeit geleistet. Als er sich nicht mehr mit seinem Beinbruch entschuldigen konnte, hatte er einen Arzt bestochen und sich unfähig zu körperlicher Arbeit erklären lassen.
    Seine Wohnung im Dachgeschoß war nun ein hochelegantes Appartement, mindestens fünfmal so luxuriös wie irgendeine andere Wohnstätte in Winant. In seiner Nähe wohnten Morgan und ein Dutzend andere Männer und Frauen, über die er absolute Gewalt besaß.
    Alle wußten, daß Ritchie ebenso angefangen hatte wie sie selber. Alle sahen die Kluft, die sich zwischen ihnen und Ritchie öffnete, und haßten, fürchteten, bewunderten oder beneideten ihn.
    Nur zwei andere Männer in der ganzen Ansiedlung hatten Ähnliches erreicht wie er – Guiseppe Bonelli und GL Smythe, beides Opportunisten, wenn auch nicht von Ritchies Kaliber.
    Doch es ist zwecklos, viel über Bonelli und Smythe zu reden, denn als sie gerade anfingen, zu einer gewissen Prominenz zu kommen, ließ Ritchie sie ermorden.
    So einfach war das.
    Diesmal hatte Ritchie selber natürlich ein unerschütterliches Alibi. Er war mit zwanzig eigens als zuverlässige Zeugen ausgewählten Leuten auf seinem Sonnendach gewesen. Morgan hatte kein so gutes Alibi.
    Eines Abends traf ich Morgan im Korridor, und zu meiner Verwunderung grinste er mich an. Ich wollte nichts mit ihm zu tun haben, aber vor Überraschung blieb ich stehen.
    „Okay, Bill“, sagte er, „wir haben uns lange in den Haaren gelegen.“
    Ich wartete ab.
    „Du hast mich hierhergebracht; dafür bin ich dir dankbar. Ich konnte dich nicht leiden, als du mich noch herumpuffen konntest. Das kann jetzt keiner mehr. Mir ist es egal, ob du mir die Hand gibst oder nicht.“
    Er streckte mir die seine entgegen.
    „Ich glaube, du kannst niemandem mehr als Freund die Hand schütteln, Morgan. Es tut mir leid.“
    „Ich habe genug Freunde“, schnappte er.
    Ich zuckte die Achseln. „Zweifellos.“
    Er gewann schnell seine gute Laune zurück. Offenbar basierte dieser ganze Auftritt auf Ritchie. Morgan bewunderte Ritchie und wollte sein wie er. Wenn Ritchie nichts übelnahm, wollte Morgan auch nichts übelnehmen.
    „Also gut“, sagte er, „aber wir brauchen uns doch nicht jedesmal anzuknurren, wenn wir uns begegnen, nicht wahr?“
    „Aber nein“, sagte ich höflich. „Ich knurre ja auch gar nicht.“
    Und dann ließ ein Impuls mich einen letzten Appell an ihn richten.
    „Morgan“, sagte ich, „wenn du so weitermachst wie bisher, nur weil du denkst, es sei zu spät zur Umkehr – dann irrst du dich. Du kannst immer einen neuen Anfang machen. Immer.“
    „Du meinst …“
    „Ich meine, wenn du auch Menschen ermordet hast, brauchst du doch nicht immer ein Mörder zu bleiben.“
    Er zögerte. Sein Trotz war gewichen. Er schien zugänglicher zu sein als bei unserer letzten Unterredung.
    „Was könnte ich denn tun?“ fragte er.
    „Ich weiß es nicht. Du mußt selber einen Weg finden. Aber du kannst bestimmt etwas tun, und Betty wird

Weitere Kostenlose Bücher