TS 49: Der Weltraumarzt
einatmen zu lassen, und schon war die notwendige Narkosetiefe für eine Operation erreicht. Außerdem war es jederzeit möglich, den Narkotisierten augenblicklich aufzuwecken. Die alleinige Verwendung von Dexträthyl war nur für kurzdauernde Anästhesie zweckmäßig, weil es zu schwierig war, die Wirkung des Mittels während einer großen Operation exakt zu steuern. Jedenfalls hatte man hinsichtlich Kontrollierbarkeit und Sicherheit mit der Kombination der beiden Substanzen in der Anästhesie die besten Erfahrungen gemacht, und die Überlegenheit der Methode war unbestritten.
Nun, Calhoun hatte das Verfahren sozusagen umgekehrt und den Mann in der Vermittlung zuerst mit Dexträthyl betäubt, um ihn dann anschließend mit Polysulfat für mindestens sechzig Stunden ins Land der Träume zu schicken. Praktisch gab es kein Mittel, ihn vorzeitig zu wecken, vor allem dann nicht, wenn die Ursache der Bewußtlosigkeit nicht bekannt war. Wenn also die Mordbanditen einen ihrer Spießgesellen in besinnungslosem Zustand fanden, dann würde dieses Erlebnis ihr seelisches Gleichgewicht beträchtlich erschüttern. Sie würden nie auf den Gedanken kommen, daß der Zustand ihres Kumpans auf eine feindliche Aktion zurückzuführen war, sondern selbstverständlich ein Koma vermuten. Das letzte Stadium der Seuche, die ihnen einen Planeten verschaffen sollte, war aber gerade der komatöse Zustand der Opfer. Also mußten sie glauben, einer aus ihren Reihen sei im Begriff, an eben der Seuche zu sterben, gegen die sie sich bislang immun wähnten. Das würde zu einer Panik führen, denn jeder einzelne mußte sich logischerweise selbst für einen unmittelbaren Todeskandidaten halten. Wenn es nun noch gelang, mehr als einen Mann in diesen komaähnlichen Zustand zu versetzen, dann war der Zusammenbruch von Disziplin und Ordnung als Folge der mit Sicherheit einsetzenden Verzweiflung nur umso eher zu erwarten.
Irgendwo flog krachend eine Tür auf. Dort hinten, neben dem erleuchteten Fenster, schwankte ein Mann auf die verlassene, nachtschwarze Straße hinaus. Ein zweiter folgte. Ein dritter stolperte heraus und knallte die Tür hinter sich zu. Gemeinsam kamen sie die Straße entlang. Mit heiseren Stimmen grölten sie ein unmelodisches Lied. Ihre Zungen schienen ihnen ebensowenig zu gehorchen wie ihre Beine, denn der Text blieb unverständlich. Das Echo wurde von den hohen Mauern der Gebäude gebrochen und in merkwürdigen Verzerrungen zurückgeworfen. Das klang so gespenstisch unwirklich und unheimlich, daß sogar Calhoun fühlte, wie sich seine Nackenhaare sträubten.
Er trat in die Deckung eines Hauseinganges und wartete. Als die drei Männer auf seiner Höhe waren, faßten sie sich gegenseitig unter, um sich festeren Halt zu verschaffen. Einer von ihnen brüllte johlend Verse irgendeines ganz und gar nicht druckreifen, unbeschreiblich zotigen Liedes. Ein anderer fiel von Zeit zu Zeit mit unsicherer Stimme in den Refrain ein. Der dritte protestierte weinerlich und blieb stehen, um so auch die anderen zum Halten zu zwingen und sich auf diese Weise besser Gehör zu verschaffen. Sie stritten sich mit der humorlosen Schwerfälligkeit und dem eulenhaft wirkenden Ernst, den gewisse Betrunkene an sich haben, über irgendein undefinierbares Thema.
Calhoun hob die Mündung der Sprühpistole, nahm Ziel und zog den Abzug durch. Das schwankende, johlende Trio verstummte urplötzlich in einem gemeinsamen, röchelnden, tiefen Atemzug. Dann stürzten sie um wie die Klötze. Calhoun ergriff die nötigen Maßnahmen.
Kurze Zeit später lag ein Mann bewußtlos auf der Straße. Bis auf das Symptom der Auszehrung war das Koma, in dem er sich befand, von der terminalen Bewußtlosigkeit der Flüchtlinge aus der Stadt nicht zu unterscheiden. In einiger Entfernung trabte Calhoun auf das Landegerüst zu. Über seiner Schulter hing ein zweiter, ebenfalls bewußtloser Mann. Murgatroyd folgte ihm unmittelbar auf den Fersen. Der dritte Mann war nirgends mehr zu sehen. Er lag an einem sicheren Ort, wo man ihn frühestens einen Tag später, wahrscheinlich aber erst nach zwei Tagen finden konnte. Dieser dritte Mann trug nur noch seine Unterwäsche.
6.
„Auf einen Mann, der Spielwetten abschließt und seine Einsätze mit Hilfe von auf der Wahrscheinlichkeitsrechnung basierenden Systemtabellen macht, ist korrekterweise der Begriff ,Glücksspieler’ nicht anwendbar, denn der Betreffende versichert sich auf diese Weise eines für ihn günstigen Ausganges der Wette
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