TS 49: Der Weltraumarzt
zum Bewußtsein kam. Aber zu einem Schock dieser Art gehörte notwendigerweise eine derart sinnlose Wut, daß allen Ernstes die Gefahr des Überschnappens in den Wahnsinn einer echten Psychose drohte. Calhoun überlegte in kühler, sachlicher Leidenschaftslosigkeit. Die Art von Leben, die sein Gefangener wahrscheinlich geführt und die Ziele, die er sich gesetzt hatte – wie sich später herausstellen sollte, deckten sich Calhouns Vermutungen in bemerkenswerter Weise mit der Wirklichkeit – mahnten zur Beobachtung bestimmter Vorsichtsmaßregeln. Erfahrungsgemäß konnten Menschen dieser Art – wenn sie beispielsweise verspottet wurden, ohne die Möglichkeit zu irgendeiner Gegenwehr zu haben – buchstäblich bis zum Wahnsinn und sogar bis zum Tod gereizt werden. Calhoun hatte allerdings keineswegs die Absicht, seinen hilflosen Gefangenen aus Mutwillen zu reizen.
Er besichtigte das ganze Schiff und stellte fest, auf welcher Werft es erbaut worden war. Außerdem merkte er sich Typ, Bauart und andere wichtige technische Daten. Ganz besondere Aufmerksamkeit schenkte er jenen Einrichtungen, deren Zerstörung das Schiff in ein unbrauchbares, nutzloses Wrack verwandeln würde. Schließlich kehrte er zum Laboratorium zurück.
Sein Gefangener keuchte erschöpft. An einigen Stellen hatten sich die Tuchstreifen, mit denen er gebunden war, kaum merkbar gelockert. Ohne ein Wort zu verlieren, zog Calhoun die Fesseln wieder straff an. Der Gefangene überschüttete ihn mit einer wahren Flut nicht wiederzugebender, hysterischer Verwünschungen.
„Gut so“, ermunterte Calhoun ungerührt. „Versuchen Sie, Ihre Wut loszuwerden, damit wir uns vernünftig unterhalten können.“
Er wandte sich um und wollte das Laboratorium verlassen. Da erklang plötzlich aus einem Lautsprecher eine Stimme. Geistesgegenwärtig fand er das Antwortmikrophon und schaltete es aus, so daß die Befehle, die sein Gefangener einen Sekundenbruchteil später mit überschnappender Stimme zu brüllen begann, nicht nach außen dringen konnten.
„Haben Sie noch nichts herausgefunden?“ klang es angstvoll aus dem Lautsprecher. „Wissen Sie noch nicht, was mit diesen Männern los ist? Beim Namensappell hat sich herausgestellt, daß zwei weitere vermißt sind. Es herrscht bereits Panikstimmung unter den Leuten, und sie nimmt unaufhaltsam zu. Allgemein wird vermutet, daß ein Arzt unter den Eingeborenen es fertiggebracht hat, am Leben zu bleiben und uns mit einer Seuche zu infizieren!“
Calhoun zuckte die Schultern. Die Stimme kam von draußen. Noch vor kurzer Zeit hatte sie selbstsicher und befehlsgewohnt geklungen, jetzt sprach aus ihr die nackte Angst. Selbstverständlich gab er keine Antwort auf ihre drängenden Fragen, die daraufhin wiederholt wurden. Der Mann vor dem Schiff wartete eine Weile und fragte dann nochmals. Er bettelte geradezu flehentlich um eine Antwort. Das Mikrophon blieb ausgeschaltet, also konnte er keine bekommen. Calhoun hörte gelassen zu, als die befehlsgewohnte Stimme, die allem Anschein nach dem Anführer der Mordbanditen gehörte, deutliche Zeichen von Verärgerung erkennen ließ, weil man in so beleidigender Weise keine Notiz von ihr nahm. Schließlich wurde die Stimme leiser und leiser. Sie schien zu zittern und zu schwanken. Schließlich schwieg der Lautsprecher endgültig.
„Ihre Beliebtheit scheint abzunehmen“, sagte Calhoun. Das ausgeschaltete Mikrophon legte er in sicherer Entfernung nieder. Bei dieser Gelegenheit entdeckte er unmittelbar neben dem Verstärker des Lautsprechers noch den Empfänger eines Raumsprechgerätes. „Hm“, brummte er. „Ziemlich mißtrauisch, was? Nicht einmal dem Kapitän des Schiffes wollten Sie trauen. Sie mußten Ihre eigene, persönliche Empfangsanlage haben. Typisch, ganz typisch!“
Plötzlich begann die verschnürte Karikatur eines Menschen mit kalter, klarer, präziser Stimme zu sprechen.
„Was wollen Sie?“ bellte der Verwachsene.
„Informationen“, antwortete Calhoun lakonisch.
„Für wen? Für Sie selbst? Was wollen Sie haben? Ich kann es Ihnen geben!“ sagte der Mund unter den dunklen, eiskalten, halb irrsinnigen Augen. „Ich kann Ihnen alles verschaffen, was Sie sich nur vorzustellen imstande sind! Ich kann Ihnen mehr Reichtümer geben, als Sie sich erträumen können!“
Calhoun setzte sich nachlässig auf die Armlehne eines Sessels.
„Ich höre“, verkündete er. „Aber allem Anschein nach sind Sie nicht mehr als technischer Direktor des hiesigen
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