TS 57: Die Irrfahrten des Mr. Green
das große Schiff den Windfang verlassen und sich auf die lange gefährliche Reise machen.
„Ich würde mir darüber nicht weiter Sorgen machen“, beruhigte ihn Green. „Ihr werdet sehen, morgen wird aus dem Bergland die Nachricht eintreffen, Green sei von einem der Männer des Klans Axaquexcan erschlagen worden, der allerdings erst seine Belohnung haben will, bevor er den Kopf des Toten den Leuten des Herzogs ausliefert. Der Herzog jedenfalls wird es glauben und darauf verzichten, die Roller durchsuchen zu lassen.“
Miran rieb sich die plumpen, öligen Hände, und sein Auge funkelte. Er liebte Intrigen, je hübscher eingefädelt, umso besser.
Doch obgleich eintraf, was Green vorausgesagt hatte, wurde Miran am zweiten Tage immer nervöser und begann die ständige Anwesenheit des großen blonden Mannes in seiner Kajüte lästig zu finden. Er wollte ihn unten in den Laderäumen verstecken, aber Green weigerte sich und erinnerte den Kapitän an sein Versprechen, ihm Zuflucht innerhalb der vier Wände seiner Kajüte zu gewähren. Anschließend holte er sich gelassen eine neue Flasche Lespaxiawein aus dem Vorrat des Händlers, dessen Versteck er ausfindig gemacht hatte, und schenkte sich ein. Miran schaute finster, und in seinem Gesicht zuckte es vor verhaltenem Zorn, aber er schwieg, denn es war Sitte, daß der Gast tun konnte, was ihm beliebte – innerhalb vernünftiger Grenzen.
Am dritten Tag war Miran nur noch ein ängstliches Nervenbündel. Als er schließlich einmal die Kajüte verließ, in der er die ganze Zeit ruhelos herumgewandert war, tat er das nur, um seine Wanderung an Deck fortzusetzen. Green konnte seine Schritte noch stundenlang hören. Am vierten Tag war er bereits bei Morgengrauen wieder auf und bellte seinen Leuten Befehle zu. Kurz darauf spürte Green, wie sich das große Schiff in Bewegung setzte und hörte die Rufe, die die Vorarbeiter der Schleppmannschaft ausstießen und den rhythmischen Gesang der Sklaven, deren Rücken sich unter den schweren Tauen strafften, an denen sie den Roller vorwärtszogen.
Langsam, unendlich langsam, wie Green es schien, bewegte sich das Schiff knirschend über den Boden. Er riskierte es, einen Vorhang beiseitezuschieben und einen Blick durch das rechteckige Bullauge zu werfen. Vor ihm befand sich der Rumpf eines anderen Rollers, und eine Sekunde lang glaubte er, jenes und nicht sein Fahrzeug bewege sich. Dann erkannte er seinen Irrtum und sah, daß der Glücksvogel sich mit einer Geschwindigkeit von vier oder fünf Metern in der Minute voranquälte. Bei diesem Tempo würde es eine Stunde dauern, bis die ragenden Mauern des Windfangs hinter ihnen lagen.
Er war schweißnaß, als diese Stunde endlich vorüber war, hatte er doch jeden Augenblick erwartet, die Kais plötzlich von Soldaten wimmeln zu sehen, die hinter dem Glücksvogel herlaufen und schreien würden, er solle anhalten, weil sich ein geflüchteter Sklave an Bord verberge.
Aber nichts dergleichen geschah, und schließlich blieben die Schleppmannschaften stehen und begannen ihre Taue aufzurollen. Miran brüllte Befehle, die der erste Maat wiederholte, auf Deck erscholl das Getrampel vieler Füße und der Lärm singender Stimmen. Ein Geräusch, ähnlich dem eines Messers, das ein Stück Tuch durchschneidet, verriet Green, daß die Segel losgemacht wurden. Plötzlich schwankte das Schiff, als der Wind es packte, und ein Zittern, das den ganzen Rumpf durchlief, verkündete, daß die großen Achsen sich drehten und die riesigen Räder mit ihren Reifen aus gummiartigen Chacorotr zu mahlen begonnen hatten. Der Glücksvogel hatte die Schwingen ausgebreitet und war auf seinem Weg.
Green machte die Kajütentür einen Spaltbreit auf und warf einen letzten Blick auf die Stadt Quotz, die bei ihrer jetzigen Geschwindigkeit von fast fünfundzwanzig Kilometern in der Stunde rasch hinter ihnen zurückblieb und aus dieser Entfernung wirkte wie eine Spielzeugstadt am Fuße eines kleinen Hügels. Jetzt, wo ihm von dieser Stelle keine Gefahr mehr drohte und der Gestank ihrer Straßen zu weit entfernt war, um seine Nase noch beleidigen zu können, erschien sie ihm romantisch und verlockend.
„Und so nehmen wir Abschied vom exotischen Quotz“, murmelte Green die traditionellen Schlußworte eines Reiseführers, der sich nun einem neuen Ort zuwendet. „Und auf Nimmerwiedersehen, du Sohn einer Izzot!“
Dann, obwohl er in der Kajüte bleiben sollte, bis Miran ihn holen ließ, machte er die Tür weit auf und trat an
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