TS 57: Die Irrfahrten des Mr. Green
raffinierter Bengel!“ rief Green erstickt. „Großartig! Jetzt begreife ich. Richte deiner Mutter aus, sie wäre die wundervollste Frau auf diesem Planeten! Halt, warte noch einen Augenblick! Was ist mit dem Bootsmann und seiner Pfeife? Wieso wird er pfeifen, wenn ich die Rakete abfeuern soll?“
„Das wird er ja gar nicht. Mutter wird es tun. Azaxu“ – er meinte seinen jüngeren Bruder – „oder ich geben ihr ein Zeichen. Wir werden Ezkr und Grazoot beobachten, und wenn sie aufentern, benachrichtigen wir sie. Sie wartet, bis sie ungefähr in halber Höhe sind, dann pfeift sie.“
„Diese Frau hat mir schon mindestens ein dutzendmal das Leben gerettet. Was würde ich nur ohne sie anfangen?“
„Das hat Mutter auch gesagt. Sie meinte, sie wüßte selbst nicht genau, warum sie dir nachgelaufen wäre, nachdem du sie schon sitzengelassen hattest. Aber sie tat es eben, weil sie dich liebt.“
Tief beschämt verfolgte Green, wie Grizquetr die Strickleiter wieder hinunterkletterte.
Wie üblich nach Sonnenuntergang begann der Himmel sich zu beziehen, und dann fielen auch schon die ersten Regentropfen. Green fragte sich, ob es vielleicht der Regen war, auf den die beiden gewartet hatten. Wahrscheinlich hatten sie jetzt schon den Fuß in der Takelage. Wenn sie klug waren, kletterten sie allerdings nicht direkt unter ihm hoch, sondern nahmen den Umweg über den Hauptmast und schoben sich dann zu ihm herüber. Sie würden zwar dann an den anderen Toppgästen vorbeimüssen, aber Ezkr und Grazoot kannten sich schließlich aus. Es würde ihnen nicht schwerfallen, im Schutz der Dunkelheit kaum eine Armlänge von den Mastkörben entfernt vorüberzukriechen, ohne dabei gesehen oder gehört zu werden. Der Wind im Takelwerk, das Knarren der Masten, das Poltern der großen Räder verschluckte jedes andere Geräusch.
Green vergrub das Kinn tiefer in den Kragen seiner dicken Jacke und umwanderte sein schwankendes Nest. Er strengte seine Augen an, um das Dunkel zu durchdringen, das ihn einhüllte. Es war nichts zu erkennen, nicht das geringste – Doch halt, was war das? Der verschwommene Umriß eines Gesichts?
Er starrte darauf, bis es verschwand, seufzte erleichtert und wurde sich plötzlich bewußt, wie steif er die ganze Zeit dagestanden hatte. Eine feine Gelegenheit für jemand, ihn in aller Ruhe von hinten niederzustechen.
Oder nein, doch nicht. Wenn er kaum die Hand vor Augen sah, dann konnten die beiden anderen das natürlich auch nicht.
Aber sie kannten sich gut genug in der Takelage aus, um sich blind bis zu seinem Mastkorb vortasten zu können und hier seinen Standort zu erfühlen. Die Berührung einer Hand, gefolgt von kaltem Stahl – das genügte.
Er hatte den Gedanken gerade zu Ende gedacht, als er den Finger spürte. Er bohrte sich ihm in den Rücken, und eine Sekunde lang stand er wie gelähmt da. Dann stieß er einen heiseren Schrei aus und sprang hinweg. Er riß seinen Dolch heraus, kauerte sich tief auf den Boden und strengte Augen und Ohren an in dem Versuch, sie zu entdecken. Wenn sie ebenso laut keuchten wie er, mußte er sie hören.
„Los, kommt doch! Los!“ stieß er heiser zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Los, tut was! Bewegt euch, damit ich euch festnageln kann!“
Vielleicht dachten sie genau das gleiche und warteten auf eine Bewegung, mit der er sich verriet. Am besten, er blieb auf dem Boden hocken. Vielleicht würden sie über ihn stolpern.
Er streckte die Hand aus und tastete in der Luft herum. Seine andere Hand hielt den Dolch umklammert.
Dabei stieß er gegen den Korb, den Grizquetr stehengelassen hatte. Von einem plötzlichen Einfall gepackt, zerrte er die Rakete hervor. Weshalb sollte er warten? Er würde die Rakete zünden und die beiden, solange sie noch von ihr geblendet waren, angreifen.
Dumm war nur, daß er dabei den Dolch zur Seite legen mußte, denn zum Feuerschlagen brauchte er beide Hände, und dieser Gedanke gefiel ihm ganz und gar nicht.
Er löste das Problem, indem er den Dolch zwischen die Zähne nahm. Dann griff er in die Tasche, um die Schachtel mit dem Zunder herauszuholen, hielt aber auf halbem Wege inne und schob sie hastig wieder ein. Wie sollte er den Zunder in Brand setzen, wenn es regnete? Diese Schwierigkeit hatte Amra bei all ihrer Schlauheit übersehen.
„Dummkopf!“ flüsterte er vor sich hin. Im nächsten Augenblick hatte er seine Jacke ausgezogen und Stahl, Feuerstein und Schachtel unter der schützenden Hülle geborgen.
Wieder
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