TS 58: Das Raumschiff der Verbannten, Teil 1
übernehmen?“
Helmer sah auf die Uhr.
„Wie lange, Sir?“ fragte er höflich.
Leinster zuckte mit den Schultern.
„Unbestimmt.“
Helmer lächelte.
„Dann“, antwortete er, „wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie an den Zweiten abgeben wollten, Sir.“
Leinster war damit einverstanden – um so eher, als der Zweite Offizier, Duff Rigellian, ein Intercosmic-Mann war. Rigellian übernahm das Kommando, und Leinster gab ihm an, wie er in den nächsten Stunden zu erreichen sei.
„Wenn Sie überhaupt keine Verbindung bekommen, rufen Sie mich über Kleinsender!“ befahl er ihm. „Ich lasse den Empfänger ständig eingeschaltet.“
Wer mit dem Expreßlift vom Kommandostand oder einem anderen der inneren Teile des Schiffes kam und die Liftkabine erst wieder auf der Höhe eines der Siedlerdecks verließ, der konnte wohl für ein paar Augenblicke das Empfinden haben, er sei mit dem Lift aus dem Schiff hinausgefahren und wieder auf der Erde gelandet.
So wunderbar die technischen Einrichtungen der GLORIOUS sein mochten: für den, der von Technik nichts oder nur wenig verstand, waren die Siedlerdecks noch weitaus wunderbarer.
Man hatte das Material, aus dem das Schiff bestand, auf dem Boden der Decks überall, an den Wänden und Decken nach Möglichkeit verkleidet. Was der zu sehen bekam, der aus dem Lift stieg, war eine parkartige, von breiten, bequemen Straßen durchzogene Landschaft. Es gab Flüsse bis zur Größe etwa des Shenandoah-River, und niemand sah ihnen an, daß ihre Wasserfülle aus riesigen Reservoirs stammte und am Ende des Flußlaufes auch dorthin wieder zurückkehrte.
Alles war so natürlich wie möglich gehalten. Auch die Wohnungen der Siedler. Es waren kleine Fertigbau-Häuser im Bungalowstil, die sich stilecht in die Parklandschaft einpaßten. Es gab keine eigentlichen Städte. Die Bewohnerdichte in den Siedlerdecks war überall etwa gleich.
Es gab keinen Platzmangel. Den Siedlern standen zehn übereinanderliegende Decks mit einer Wohnfläche von rund 11 Millionen Quadratkilometern zur Verfügung.
Das einzige, was den Eindruck der Echtheit empfindlich störte, war die tief hängende Decke über einem jeden Deck. Die fünfundzwanzig Meter Abstand zwischen Boden und Decke – die Decke in blauer Farbe gehalten, um einen wolkenlosen Himmel vorzutäuschen – im Verein mit der zwar schwachen, aber nichtsdestoweniger vorhandenen Wölbung des Decks schufen den Eindruck, als lebe man auf einem sehr kleinen Planeten und habe den Horizont nur ein paar Meter weit vor sich.
Die Beleuchtung der Siedlerdecks wechselte im irdischen Tag-Nacht-Rhythmus. Als Leinster auf dem obersten Deck des Z1-Sektors aus dem Lift stieg, war es später Nachmittag. Die künstliche Beleuchtung hatte einen rötlichen Einschlag, und die Nachmittagsstimmung war nahezu vollkommen.
Frodgey Willagher hatte mit einem Wagen gewartet.
„Wo ist was los?“ fragte Leinster.
Frodgey streckte den Arm aus.
„Dort hinten, keine zehn Kilometer weit. Sie haben sich zusammengerottet – ungefähr zehntausend – und wollen eine Art Feldzug veranstalten, um die andern davon zu überzeugen, daß sie unbedingt recht haben.“
Leinster rümpfte die Nase.
„Das riecht nach Helmer“, meinte er.
Frodgey nickte eifrig.
„Ja, das tut es. Aber ich kann ihm immer noch nichts nachweisen. Ich weiß nicht einmal, wer die Leute auf ihre närrische Idee gebracht hat.“
Frodgey übernahm das Steuer und dirigierte den Wagen mit hoher Geschwindigkeit über die völlig leere Straße.
Bei den Häusern, die rechts und links der Straße standen, war es völlig ruhig. Von den Fahrzeugen, von denen jedes Haus eines zugeteilt bekommen hatte, war nirgendwo etwas zu sehen.
„Sie sind alle dort drüben“, erklärte Frodgey und wies nach vorne.
Das erste, was Leinster eine Weile später von dem Aufruhr zu sehen bekam, war eine Art Transparent, das die Siedler quer über die Straße gespannt hatten, an zwei Plastikpfählen aufgehängt. Auf dem Transparent stand:
Für eine Änderung des Reiseplans! Gegen die Diktatur der Offiziere!
Leinster lächelte.
„Das klingt politisch“, sagte er.
„Ich glaube, du wirst aufhören zu lachen, Chef“, erwiderte Frodgey ein wenig ärgerlich, „wenn du sie erst selbst gesehen hast.“
Leinster sah sie eine Minute später.
Sie hatten sich zu beiden Seiten der Straßen versammelt. Jemand war auf das Dach eines der der Straße nahegelegenen Bungalows gestiegen und hielt von dort aus mit wilder Gestik eine
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