TS 61: Der Mann mit dem dritten Auge
wollte.
*
Als er schließlich aus einem unruhigen Schlaf erwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel. Slade sah einige dreiäugige Männer vor seiner Laubhütte hocken und richtete sich mit einem Ruck auf. Hinter den Männern sah er eine große Menge Frauen und Kinder, die auf seine primitive Schutzhütte starrten.
Slade sprang auf und warf die Laubhütte einfach auf die Seite. Eine fast unerträgliche Spannung verkrampfte die Muskeln seines Körpers. Er befürchtete, daß diese Spannung ihn unverzüglich in die andere Welt zurückschleudern würde, doch zu seiner Verwunderung geschah nichts dergleichen. Die Menschen, die fremde Umgebung, all das blieb unverrückbar und klar. Er war so fest mit dieser Welt verwurzelt, als wäre er in sie hineingeboren.
Und doch mußte er sich erst umstellen. Er war ein geistiger Zwitter, denn er konnte sich sehr gut an die normale Welt erinnern. Diese Erinnerungen hemmten ihn und machten ihn außerordentlich unsicher. Die vor ihm hockenden Menschen hatten es wahrscheinlich leichter, denn sie kannten nur ihre Welt, und diese Welt hatte für sie nichts Phantastisches, Unwirkliches. Oder waren diese Menschen genau wie er durch ein merkwürdiges Schicksal in diese Umgebung verschlagen worden?
Slade wußte es nicht, und die Zeit reichte nicht aus, um sich lange mit diesem Problem auseinanderzusetzen.
Slade bemerkte, daß die vor seiner Höhle hockenden Männer keinerlei Waffen trugen. Seine Erleichterung war fast so überwältigend wie der erste Schock. Bevor er jedoch den Mund aufmachen konnte, sagte der ihm am nächsten sitzende Mann: „Vorsicht! Die Umstellung ist noch nicht tiefgreifend genug.“
Der Mann streckte einen Arm aus und bedeckte Slades Stirnauge mit der flachen Hand. Die Bewegung kam so unerwartet, daß Slade sich nicht dagegen wehrte. Die Stimme des Mannes war melodisch und sympathisch, gar nicht so, wie er es von einem Primitiven erwartet hatte. Slade begriff endlich, was der Mann meinte, und schüttelte verwundert den Kopf.
Diese Menschen wußten offensichtlich, daß er aus einer anderen Welt gekommen war, daß er sich erst an die neue Umgebung gewöhnen mußte. Sie wußten also, daß ein unerwartetes Ereignis, ein Schreck oder zu große Erregung gefährlich für ihn waren und ihn wieder in die andere Welt zurückversetzen würden.
Diese Menschen sind also durchaus nicht primitiv! sagte er sich erstaunt.
Der Gedanke war so ungeheuerlich, daß er sich erst daran gewöhnen mußte. Er beruhigte sich jedoch schnell, denn diese Leute bedeuteten offenbar keine Gefahr für ihn.
Der in Felle gekleidete Mann mit der sympathischen Stimme ließ die Hand sinken und sagte beruhigend: „Ich glaube, jetzt kann nichts mehr passieren.“
Slade verstand jedes Wort. Es war dieselbe Sprache, die er von Leears Schallplatten gelernt hatte. Trotzdem erstaunte ihn der Wohlklang der Worte. Wie waren die primitiv aussehenden Leute zu einer so wunderbaren Sprache gekommen?
Er blickte auf die anderen vor ihm sitzenden Männer und dann auf die weiter entfernt stehenden Frauen und Kinder. Alle lächelten ihn an, keiner zeigte Feindschaft oder Bösartigkeit. Die Menschen waren alle gut entwickelt, und auch ihre geistigen Qualitäten schienen überragend zu sein. All das schien aber in einem krassen Mißverhältnis zu den Höhlen zu stehen. Er dachte an die degenerierten Blutsäufer von Naze. Die Zusammenhänge wurden immer klarer. Die Stadt wurde von Leear und dem Schiff belagert, und der unsterbliche Geean konnte sich nur mit seiner undurchdringlichen Strahlenbarriere vor einem vernichtenden Angriff schützen. Der Grund für diese Belagerung war Slade nicht bekannt, aber er begriff sofort, daß diese Menschen auf Leears Seite standen. Diese gesunden, offenen und ehrlichen Menschen waren Leears Freunde.
Slade konnte nicht ewig nur dastehen und die Leute anstarren. Er mußte etwas sagen, wenn sie ihn nicht für einen Narren halten sollten. „Ich danke euch!“ sagte er leise und fuhr dann mit zunehmender Sicherheit fort: „Ich bin euer Freund. Mein Name ist Michael Slade.“
Der große Mann mit den klaren Augen und der sympathischen Stimme nickte und sagte: „Ich heiße Danbar.“
Slade reichte Danbar seine Hand, die dieser sofort ergriff und freundschaftlich schüttelte.
Er sah sich Danbar genauer an und staunte über dessen Größe und starken Körperbau. Ohne das dritte Auge würde dieser etwa dreißig Jahre alte Mann jederzeit in der anderen Welt leben können und
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