TS 61: Der Mann mit dem dritten Auge
hatte. Sie war dicht über ihm gewesen; er hatte ihre Nähe gespürt und ihre Stimme gehört, doch ihr Körper war für ihn unsichtbar geblieben.
Was sollte das bedeuten? Vielleicht erwartete man von ihm eine ganz bestimmte Reaktion? Er stand auf, ging zu dem anderen Sessel hinüber und fuhr mit der Hand durch den Bereich, den Danbars Körper eben noch eingenommen hatte. Er spürte keinen Widerstand, keine Bewegung, nichts! Er blickte zu Malenkens hinüber, doch der sah nicht einmal auf.
Slade ließ sich schwer in seinen Sessel fallen. Er zitterte vor Erregung und konnte sich nicht gegen das immer stärker werdende Entsetzen wehren. Was wollten diese Leute von ihm? Welchen Trick hatte .Danbar angewandt, um sich unsichtbar zu machen, ihn zu erschrecken? War Danbar nun aufgestanden und ins Freie getreten oder stand er neben dem Sessel, um die Reaktionen des Gastes zu beobachten?
All diese Gedanken wirbelten Slade durch den Kopf, aber irgendwie war er davon überzeugt, daß Danbar noch immer in dem Sessel saß.
Und ich habe diese Leute für Primitive gehalten! sagte er sich. Anscheinend kennen sie die tiefsten Geheimnisse der menschlichen Natur und können ihr Nervensystem vollständig beherrschen. Sie sind uns so weit voraus, daß ein Vergleich fast wie eine Lästerung erscheint. Was hatte Malenkens gesagt? … Du wirst mindestens sechs Jahre brauchen, um dich unserem Lebensrhythmus anzupassen …
Slade wurde noch aufgeregter. Sollte das etwa bedeuten, daß er sich nach Ablauf von sechs Jahren auch nach Belieben unsichtbar machen konnte? Er schüttelte den Kopf. Der Gedanke erschien ihm zu phantastisch.
Trotz seiner Erregung zwang er sich zur Ruhe. Er mußte klar denken und sachlich überlegen, das war ganz offensichtlich. Er war den anderen hoffnungslos unterlegen und mußte alle seine Fähigkeiten ins Feld führen, um nicht ins Hintertreffen zu geraten. Er lehnte sich zurück und öffnete schon den Mund, um Malenkens einige Fragen zu stellen, tat es dann aber doch nicht, denn der andere Mann schien ganz bewußt in eine andere Richtung zu blicken. Die Zeit verstrich quälend langsam. Danbar blieb spurlos verschwunden. Slade empfand seine Abwesenheit als außerordentlich beunruhigend, denn Danbar war sicher noch in der Höhle und beobachtete seine Reaktionen. Slade spürte die Augen des unsichtbar gewordenen Mannes auf sich ruhen und war dieser unangenehmen Situation hilflos ausgeliefert. Wieder fiel ihm ein, daß die anderen vielleicht eine ganz bestimmte Reaktion erwarteten. Was sollte, ja was konnte er überhaupt tun?
Noch immer unentschlossen stand er auf und setzte sich in Danbars Sessel. Es war nur ein unbedachter Impuls, den er sofort bereute. Was würde geschehen, wenn Danbar sich plötzlich wieder materialisierte?
Slade sprang erschrocken auf und ging nachdenklich zum Eingang der Höhle. Er hoffte, Danbar zu sehen und strengte seine Augen an, um ihn aus der Menge herauszufinden. Es war vergeblich. Viele Höhlenbewohner hielten sich im Freien auf. Die Feuer loderten wieder, und Frauen rührten in großen Metalltöpfen. Im Gegensatz zu den Bewohnern der Stadt Naze waren diese Menschen sehr aktiv und ließen sich nicht einfach treiben. Kinder spielten und tollten umher, überall waren Menschengruppen, doch Danbar war nicht zu sehen.
Slade blieb trotzdem am Höhleneingang stehen und blickte über das weite Tal. Das frische Grün der Wiesen beruhigte nicht nur seine Augen, sondern auch seine Nerven. Die Welt, die er sah, war außerordentlich schön. Überall wucherte frisches Grün, und bunte Blüten leuchteten in nie gesehener Pracht. Er sah auch Vögel, dreiäugige Vögel, die über den Hügel schwirrten und in den tiefblauen Himmel hinaufschossen. Diese paradiesische Landschaft erstreckte sich so weit er sehen konnte. In weiter Ferne ragten gewaltige Gebirge in den Himmel; herrliche Seen lagen wie glitzernde Spiegel im warmen Sonnenschein. Ein ewiger Sommer schien dieses Land ständig in einem paradiesischen Zustand zu erhalten.
Eine herrliche Welt! dachte Slade. Welch ein Gegensatz zu Naze! Und doch war diese Welt geheimnisvoll und unheimlich. Die Menschen waren sehr freundlich, aber sie waren ihm überlegen und machten ihn mit dieser Überlegenheit unsicher.
Er drehte sich um und schritt langsam in die Höhle zurück. Er befand sich in einer beispiellos herrlichen Welt, aber er mußte sich anscheinend erst die Berechtigung erwerben, in dieser Welt leben zu dürfen. Auch hier war er ein Fremder, aber
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