TS 61: Der Mann mit dem dritten Auge
Wahrscheinlich dauerte es nur eine Minute. Als ich wieder aus dem Haus kam, waren die Frau und der Bär verschwunden. Ich suchte das Feld ab, konnte aber nichts entdecken. Das war sehr merkwürdig, denn die Gegend ist bei uns sehr flach und übersichtlich. Außerdem waren die Felder abgeerntet. Die beiden konnten sich nur in Luft aufgelöst haben.
Ich war natürlich sehr beunruhigt und machte mich auch am Nachmittag auf die Suche. Niemand hat gern einen Bären in der Nähe des Hauses. Bei der Suche erfuhr ich von anderen Leuten, daß kurz vorher die Leiche eines Mannes gefunden worden war. Ich weiß nicht, o b der Tod des zerschmettert aufgefundenen Mannes mit der Frau und dem Bären zusammenhängt.
Michael Slades Leiche wurde auf meine Farm gebracht, und bei dieser Gelegenheit erzählte ich dem Doktor von meinen Wahrnehmungen. Ich habe den dreiäugigen Mann vorher nie gesehen, obwohl er nicht weit von meiner Farm ein Stück Land besitzt und sich dort recht oft aufgehalten haben soll.
Da war noch etwas Merkwürdiges: Die Polizei fand die Spuren der Frau und des Bären, aber diese Spuren hörten mitten auf dem Feld auf. Bisher hat noch keiner eine Erklärung dafür gefunden.“
10.
Slade ging langsam durch die Straße und dachte über seine Lage nach. Seine ohnehin nutzlosen Pistolen waren ihm abgenommen worden, aber das Messer steckte noch immer in der Scheide. Auch sein Taschentuch, ein paar Meter Angelschnur und die Morphiumtabletten hatten die Stadtjäger ihm gelassen. Die Morphiumtabletten hatte er mitgenommen, um sich im Unglücksfall Qualen zu ersparen.
Zu seinem Entsetzen erkannte er, daß die Straße nicht so einsam war, wie er zuerst angenommen hatte. Eine alte Frau kam aus einem Torbogen gelaufen und flüsterte ihm zu: „Blut! Geben Sie mir Blut, sonst werde ich Sie noch in dieser Nacht umbringen!“
Slade war nicht mehr ganz so ängstlich wie bei seinem ersten Besuch und schob die Frau einfach beiseite. Warum haben die Stadtjäger mich freigelassen? fragte er sich. Was erwarten sie von mir? Wahrscheinlich weiß Geean von dem Komplott und hofft, daß ich ihm den Weg zu den Führern der Widerstandsgruppe weise.
Er lachte grimmig auf. Geean schien sich das sehr einfach vorzustellen. Offenbar in Unkenntnis der Tatsache, daß Slade selber nicht viel wußte. Schlecht war der Plan jedenfalls nicht, denn Slade mußte sich eine Unterkunft suchen, wenn er nicht ermordet werden wollte. Schon in seiner ersten Nacht in Naze hatte er ja erfahren, wie gefährlich der Aufenthalt auf den Straßen sein konnte. Er kannte nur Caldras und Amors Wohnung.
Da aber auch Geean über die Lage dieser Wohnung informiert war – der nächtliche Überfall hatte es bewiesen – brauchte Slade keine Rücksicht zu nehmen.
Die Situation war wirklich alles andere als angenehm. Slade wußte, daß es keinen Ausweg aus Naze gab, und daß Geean ihn jederzeit verhaften lassen konnte.
Er irrte durch .die Straßen und suchte Caldras Haus. Er fand schließlich eine bekannte Straße und ließ sich von der Erinnerung leiten. Es war schon spät am Nachmittag, und er mußte sich beeilen.
Plötzlich hörte er eine bekannte Stimme, die ihn beschwörend um Blut bat. Er hastete noch ein paar Schritte weiter, wirbelte dann aber herum und sah sich die Frau genauer an.
Auch sie erkannte ihn, und ihr ebenmäßiges Gesicht verzog sich zu einer verächtlichen Grimasse. „Sind Sie nicht der Mann, der Naze zerstören wollte?“ fragte sie ironisch.
„Amor!“ rief Slade verblüfft aus. Er sah, daß die Umstehenden die Szene beobachteten und zog das Mädchen mit sich fort. „Wir dürfen kein Aufsehen erregen, Amor!“ flüsterte er ihr zu. „Wir können uns in Caldras Wohnung treffen.“
Amor ließ augenblicklich von ihm ab.
Sie war schon vorher in der Wohnung und öffnete ihm die Tür. Sie überfiel ihn mit einem wilden Redeschwall und sprach so schnell, daß er ihr kaum folgen konnte. Sie war furchtbar aufgeregt. Ihre Augen glänzten wie in einem Fieber, und ihre Hände zitterten. Slade hatte den Eindruck, daß Amor kurz vor einem Nervenzusammenbruch stand.
Er erfuhr nun die Ereignisse der furchtbaren Nacht, in der Caldra den Soldaten Geeans zum Opfer gefallen war. Amor war diesem Schicksal entgangen, weil sie kurz vorher noch einmal weggegangen war, um eine Freundin zu besuchen.
„Ich hatte Angst vor mir selbst“, gestand sie freimütig. „Die Versuchung war zu groß für mich. Ich hätte mich nicht beherrschen können und wäre
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