TS 61: Der Mann mit dem dritten Auge
in dein Zimmer eingedrungen.“
Die Art, in der sie das sagte, erinnerte Slade an ihren Zustand. Er stand wortlos auf und ging in den anderen Raum, wo er die Spritze und die chemisch behandelte Schale fand.
Er schüttelte sich vor Entsetzen, aber sein Entschluß stand fest. So tief können Menschen also sinken! dachte er angewidert, ohne allerdings Amor zu verurteilen. Sie war ja auch nur ein Opfer der furchtbaren Verhältnisse.
Er nahm die Spritze auseinander, ging in die Küche und sterilisierte die Nadel. Dann setzte er die Kanüle an den Glaszylinder und stach sich die Nadel in den linken Arm. Ihm wurde übel, als er sein Blut in den Glaszylinder fließen sah, doch er riß sich zusammen und wartete, bis der Behälter vollständig gefüllt war.
Erst dann zog er die Kanüle aus der Ader und spritzte das Blut in den dafür bestimmten Behälter. Seine Hand zitterte, als er Amor die Schale reichte.
Das Mädchen fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen, blickte aber krampfhaft weg. Sie schien gegen die große Versuchung anzukämpfen. Ihr Gesichtsausdruck und ihre Körperhaltung verrieten eindeutig, wie schwer ihr dieser Widerstand fiel.
„Warum bist du zurückgekommen?“ fragte sie tonlos.
Slade hielt das für ein gutes Zeichen. Sie beginnt nachzudenken! sagte er sich und erzählte ihr alles, was ihm in der Zwischenzeit widerfahren war. Er verschwieg nichts, denn er erwartete auch von ihr absolute Offenheit.
Während seiner Erklärungen begannen Amors Augen in einem neuen Glanz zu strahlen. Sie wurde sehr unruhig und lief schließlich im Zimmer auf und ab. Als Slade mit seinem Bericht am Ende war, rief sie aufgeregt: „Natürlich! Warum bin ich nicht schon vorher daraufgekommen! Deine Anwesenheit in Naze ist absolut kein Zufall. Alle halten sich für sehr klug, ganz besonders Geean. Er hat sich selbst eine Falle gestellt!“
Slade begriff nicht, was Amor meinte, und sah sie verständnislos an. „Ich habe eher den Eindruck, daß ich in einer Falle stecke“, sagte er bitter. „Geeans Barriere hält euch alle und nun auch mich gefangen.“
Amor ließ diesen Einwand nicht gelten. „Geean hat einen Silbergürtel und fühlt sich deshalb vollkommen sicher. Er will aber unbedingt wissen, welche Methoden Leear zu seiner Vernichtung anwenden will. Er ist kein Feigling und nimmt ab und zu ein großes Risiko auf sich. Deine Anwesenheit in Naze ist so ein Risiko, denn du bist ja Leears Werkzeug. Er will aber herausfinden, was ihn bedroht, und deshalb hat er dich in die Stadt gelassen. Als Gefangener wärst du keine Gefahr für ihn, aber er würde auch nicht herausbekommen, welche Pläne Leear mit dir hat.“
Amor überlegte und blieb schließlich dicht vor Slade stehen. Sie blickte ihn prüfend an und sagte mit vor Erregung zitternder Stimme: „Geh direkt zu ihm! Das wird ihn überraschen und verwirren. Ich glaube, ich muß dir etwas sagen, damit du die Lage besser verstehen kannst. Leear hat gesagt, daß nur du den Unsterblichen Geean vernichten kannst. Er weiß das und will nun erfahren, ob du wirklich eine Gefahr für ihn bist. Er hat dich holen lassen, weil seine Ungeduld ihn zu diesem Schritt gezwungen hat. Solange du nicht hier warst, konnte einfach nichts passieren. Du mußt ihn aufsuchen! Früher oder später mußt du es doch tun, denn es gibt keinen Ausweg. Nur Leear kann dich durch Geeans Strahlenbarriere bringen, aber sie wird es erst dann tun, wenn du ihre Wünsche erfüllt hast. Geean ist nervös, aber er vertraut auf seinen Gürtel. Solange er sich seiner selbst sicher ist, kann dir nichts passieren. Du darfst auf keinen Fall warten, bis er sich besinnt und dich aus dem Wege räumen läßt. Er hat die Macht dazu, und auch Leear kann dich nicht immer beschützen.“
Slade war von diesem Redeschwall wie betäubt. Verständnislos sah er Amor die Schale mit dem Blut aufnehmen und in die Höhe halten. Es bestand gar kein Zweifel: sie bot ihm die Schale an.
„Trink!“ sagte sie aufgeregt. „Schon ein kleiner Schluck wird dir unermeßliche Kraft und großen Mut verleihen. Du brauchst keine Angst zu haben, Slade. Der Effekt verliert sich schon nach einer Stunde.“
Slade nahm ihr die Schale ab. Insgeheim hatte er immer schon herausfinden wollen, warum die Bewohner von Naze Blut tranken und sich nur unter allergrößten Anstrengungen gegen die Sucht wehren konnten. Jetzt hatte er die Gelegenheit dazu. Der Gedanke, sein eigenes Blut zu trinken, war allerdings nicht sehr angenehm und ließ ihn
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