TS 64: Bluff der Jahrtausende
außer denen, die jetzt noch auf MARTHA arbeiteten, war es für ihn gleichgültig, in welcher Gegend von SUNRISE er sich ansiedelte. Mit seinen Kenntnissen würde er überall eine passende Stellung finden; und Ulan war eine Stadt, die ihm gefiel.
Soweit es einem Weißen, der zwar seine Heimat liebte, von seinen Landsleuten aber stets mit gewisser Zurückhaltung behandelt wurde, auf SUNRISE überhaupt gefallen konnte.
Toyes begann seine Vergnügungsreise in einem Spielautomaten-Salon. Spielautomaten waren die einzige Art leichter Unterhaltung, die es auf MARTHA gab, und Toyes hatte Spaß an der Geschicklichkeit, mit der seine fünf Jahre lang fast jeden Abend trainierten Hände den Apparaten Preis um Preis entlockten. Bald hatte er es soweit gebracht, daß eine Menge neugieriger, aber weniger erfolgreicher Spieler ihn umstanden und mit aufgeregtem Interesse sein Spiel verfolgten.
Der Automat, mit dem Toyes sich befaßte, war von einfachem Aufbau. Es galt, eine Kugel, die durch einen Lichtfleck dargestellt wurde, durch ein Labyrinth von engen Gängen in ein Loch zu dirigieren, das in Wirklichkeit eine Photozelle war. Die Geschwindigkeit, mit der die Kugel sich bewegte, war während eines Spieles unveränderlich, konnte aber zuvor an einem Rasterschalter gewählt werden.
Je höher die vorgewählte Geschwindigkeit, desto schwieriger war es, die Kugel in das Loch zu bringen, und desto höher war natürlich auch der Preis. Jedes Spiel kostete einen halben Subcredit, der geringste Preis war ein Freispiel bei der niedrigsten Kugelgeschwindigkeit, 5 Zentimeter pro Sekunde.
Toyes spielte zwanzigmal und gewann elfmal, davon achtmal den höchsten Preis, fünf Subcredits. Die Umstehenden schienen ein wenig unglücklich, als Toyes sich entschloß, das Spielen aufzugeben und den zweiten Teil seiner Vergnügungsreise anzutreten.
Er. verließ den Salon, sah sich auf der Straße unschlüssig um und wußte nicht, wohin er sich wenden sollte.
Hinter ihm öffnete sich die Salontür ein zweites Mal und ließ einen kleinen, schmalen Mann mittleren Alters hindurch, den Toyes zuvor unter den Zuschauern gesehen hatte. Er entdeckte Toyes, kam auf ihn zu und sagte freundlich:
„Alles Glück für Sie, mein Herr! Sie werden entschuldigen, daß ich Sie unaufgefordert anspreche; aber Sie scheinen fremd in dieser Stadt, und ich hatte Gelegenheit, Ihr Spiel so sehr zu bewundern, daß ich glücklich wäre, wenn ich Ihnen behilflich sein könnte. – Mein Name ist Kim Il.“
Toyes fand die Motivierung ein wenig merkwürdig und schöpfte Verdacht. Aber der kleine, magere Mann – Toyes schätzte sein Alter auf 45 bis 50 Jahre – hatte ein offenes, freundliches Gesicht, so daß Toyes nicht so recht wußte, was er mit dem Verdacht anfangen sollte.
„Mein Name ist Toyes“, antwortete er mit leichter Verbeugung. „Die Hälfte des Glücks zurück an Sie. Ich bin Ihnen dankbar für Ihr Angebot. Ich war fünf Jahre lang nicht auf SUNRISE, und in Ulan kenne ich mich schon gar nicht aus. Ich wollte mich heute nacht ein wenig amüsieren. Wenn Sie mir da etwas zeigen könnten …“
„Aber gewiß doch“, fiel Kim Il eifrig ein. „Zum Amüsieren gibt es in Ulan genug Möglichkeiten. Was möchten Sie sehen? Somnavive, Robotballetts, Theater, mehr Spielsalons …?“
Toyes entschied sich für Robotballett. Es war nicht das, was er eigentlich sehen wollte. Aber ein Robottheater war eine hellerleuchtete Angelegenheit, bei der es niemand störte, wenn ein Zuschauer sich mit seinem Nachbarn unterhielt. Darauf aber legte Toyes großen Wert. Erst einmal wollte er herausfinden, was es mit seinem neuen Bekannten auf sich hatte.
Kim Il nahm die Einladung dankbar und mit einem weitläufigen Schwall von höflichen Worten an, machte jedoch zur Bedingung, daß er für die Kosten, die er selbst verursachte, auch selbst aufkommen dürfe, Toyes lag nichts daran, ihm seinen Wunsch zu versagen.
Sie nahmen ein Girotaxi und fuhren ein paar Straßenzüge weiter zur Nagasaki Avenue, wo die großen Theaterpaläste standen. Kim Il suchte einen von ihnen aus, den er persönlich für den amüsantesten hielt. Toyes besorgte Einlaßmarken und kassierte Kim Ils Anteil.
Die Marken berechtigten sie dazu, im rückwärtigen Teil des Theatersaales zu sitzen und Getränke oder Speisen im Wert von zehn Credits pro Kopf zu konsumieren. Die Geltungsdauer der Marken war auf drei Stunden begrenzt.
Toyes interessierte sich nur so weit für das Programm, wie es nötig war, um Kim Il
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