TS 65: Die Zeit-Agenten
möchte mich dem Kronprinzen vorstellen. Nachher …“
3.
Der künftige Kaiser war nach römischen Begriffen von durchaus durchschnittlichem Wuchs. Dennoch hatte Elspeth, als er durch eineDoppelreihe sich verbeugender Höflinge auf die Gastgeberin zuschritt, den Eindruck von Größe. Vielleicht lag das daran, daß die anderen sich verbeugten, vielleicht an seiner befehlsgewohnten Art des Auftretens. Jedenfalls beherrschte der Kronprinz trotz seiner ein Meter fünfundfünfzig oder sechzig die ganze illustre Versammlung.
Er begrüßte Berenice äußerst freundlich und hob die tiefknicksende Prinzessin sofort auf, lächelte und nahm auf dem Thronsessel Platz, der ihn im Hintergrund der Plattform erwartete. Berenice, dunkel und elegant wie eine Tänzerin, glitt auf einen Stuhl neben dem Thron.
Das Fest begann beinahe unverzüglich. Elspeth, die für solche Lustbarkeiten noch nie viel übriggehabt hatte, fand ihre Tänzer ungeheuer langweilig.
Zum Glück schien aber Gnaius sich vorzüglich zu amüsieren. Elspeth beobachtete ihn unauffällig und konnte nicht glauben, daß das echt sein sollte. Und doch schien irgend etwas an diesem endlosen Ritual ihm zu gefallen, denn sie hatte zumindest für einen Augenblick vor ihm Ruhe.
Erleichtert wandte sie sich der Plattform zu und entdeckte, daß Berenice und ihr königlicher Geliebter verschwunden waren, offensichtlich durch die schweren Vorhänge hinter dem Thron, und so ihre Gäste allein gelassen hatten.
Ein kleines nubisches Sklavenmädchen schlüpfte durch die Menge, zupfte an Elspeths Kleid und flüsterte ihr zu: „Meine Prinzessin will, daß du mir folgst.“
Elspeth wandte sich um, um sich bei Gnaius zu entschuldigen, aber der verfolgte gerade mit sichtlichem Interesse die Verrenkungen eines äußerst weibisch wirkenden Säbeltänzers. Sie seufzte tief und ließ sich von dem kleinen Sklavenmädchen geschickt durch die Schar der Zuschauer zu einer vorhangverhängten Tür im Hintergrund des Saales führen. Zwei Prätorianer mit Piken bewachten sie.
Berenice und Titus waren dort, abgesehen von ein paar Sklaven, allein und ruhten nebeneinander auf einem Diwan, flankiert von Tischen mit Weinflaschen und dem unvermeidlichen Spanferkelbraten. Gekrönt wurde das Mahl von einem gerösteten Pfau, den man mit seinen natürlichen Federn verziert hatte.
Berenice winkte Elspeth zu. Als sie sich erneut vor dem Kronprinzen verneigte, stellte sie plötzlich fest, daß sie die Prinzessin irgendwie beneidete, trotz der Tragödie, die ihr in allernächster Zukunft mit großer Wahrscheinlichkeit bevorstand.
Ihr eigenes Leben, trotz der Abwechslungen, die der Beruf des Wächters brachte, schien ihr im Vergleich nüchtern und banal.
Eine Hand auf die Schulter ihres königlichen Geliebten gestützt, sagte die Prinzessin: „Liebster, das ist meine neue Freundin, Marina Elspetia. Sie ist ein Schützling von Plinius dem Älteren und macht Gedichte, daß unsere besten Dichter sich vor ihr schämen müssen. Du wirst zugeben, daß sie schöner ist als alle Prinzessinnen von Gallien zusammengenommen.“
Titus musterte sie freundlich und meinte lächelnd: „Ich muß dir rechtgeben, Berenice, aber du hast vergessen, die Prinzessinnen von Britannien miteinzubeziehen. Sie gleicht ihnen mehr als den Gallierinnen, die ich kenne.“
Das war ein kleiner Verweis, so liebenswürdig es auch klingen mochte – seine Geliebte sollte sehen, daß sie nicht nur dem Hofklatsch nicht trauen durfte, sondern auch, daß solcher Klatsch nie alle Möglichkeiten einbeziehen konnte. Ein Schatten flog über das Gesicht der Enkeltochter von Salome.
Der Kronprinz sah es, lachte und küßte sie. Dann zu Elspeth gewandt, lächelnd: „Meine Prinzessin hat gut von dir gesprochen, Marina Elspetia. Vielleicht werde ich bald das Vergnügen haben, deine Verse zu hören – und zweifellos braucht Rom eine Sappho, die ganz ihm gehört.“
Elspeth knickste noch einmal und verließ den Raum wieder. Sie war mit sich nicht zufrieden. Natürlich hatte Berenice es so eingerichtet, daß sie auf den Prinzen keinen Eindruck machte, aber Elspeth empfand auch selbst, wie wenig der Kaisererbe sich für sie interessierte. Natürlich würde Titus nicht den Zorn seiner Geliebten riskieren wollen, indem er Interesse für jemanden zeigte, der so offensichtlich einer gallischen Prinzessin glich – aber Elspeth war auch überzeugt, daß sein mangelndes Interesse echt und ungekünstelt war.
Gnaius erwartete sie. Er schien sich
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