TS 65: Die Zeit-Agenten
brachte unter ihrer Stola ein Messer zum Vorschein und glitt aus der Sänfte. Sie ließ Elspeth allein. Wieder ertönte ein Schrei.
Plötzlich wurden die Vorhänge der Sänfte auseinandergerissen. Der flackernde Flammenschein einer auf dem Boden liegenden Fackel erhellte das Innere. Ein Mann schob den Kopf durch die Vorhänge – ein schmutziges unrasiertes Gesicht mit einer gebrochenen Nase und widerlich anzusehenden Pockennarben auf den Wangen. Ein Auge hatte der Mann verloren, das andere funkelte bösartig.
Elspeth zuckte zurück und wollte schreien – brachte aber keinen Laut hervor. In dem plötzlichen Schrecken schien sich ihr Gehör auf ein Mehrfaches verschärft zu haben, sie hörte jedes Scharren einer Sandale, jedes Knurren, jeden Atemzug in dem Kampf, der draußen jenseits des anderen Vorhanges immer noch tobte. Das Geschehen um sie schien wie unter einer Zeitlupe abzulaufen.
Aber ihre Gedanken hetzten sich. Während der einäugige Straßenräuber die Hand hob, die ein Stilett hielt, empfand sie einen Augenblick eisige Panik. Und dann wurde ihr plötzlich wieder bewußt, daß sie in Wirklichkeit ja keine hilflose römische Matrone war, die vor Schritten in der Nacht Angst hatte. Sie war eine selbständig handelnde Agentin der Wächter, ausgewählt unter Hunderten von Millionen von Menschen und – wie es schien – auch durchaus geeignet, gefährliche Missionen auf parallelen Welten zu übernehmen.
Einen Augenblick bedauerte sie, daß sie die Strahlwaffe nicht mitgebracht hatte, die sie in einer eisernen Kassette in ihrem Schlafzimmer verwahrte. Dann, als die Hand und das Messer immer näher kamen, erinnerte sie sich plötzlich der seltsamen Waffe, die sie Gnaius Laconius gestohlen hatte – wenn es eine Waffe war. Sie griff unter ihre Stola und überlegte, daß sie das ja gleich wissen würde.
Ihre ganze Aufmerksamkeit galt jetzt dem Messer, das nur mehr wenige Zentimeter von ihrem Hals entfernt war. Das gierige Funkeln in dem einen Auge des Räubers galt offenbar nicht ihr, sondern den Juwelen, die er an ihr vermutete. Sie fühlte den seltsamen scheibenförmigen Griff der Waffe in ihrer Hand. Hoffentlich mußte nicht vorher irgendein Sicherheitsflügel umgelegt werden. Sie richtete den Lauf auf das ekelerregende Gesicht und drückte ab. Sie spürte, wie die kleine Scheibe in ihrer Hand zuckte, aber keine Flamme drang aus dem Lauf, und einen Augenblick war sie enttäuscht, daß Gnaius’ Waffe versagt hatte – nicht verängstigt, nur enttäuscht. Zu viel war gleichzeitig geschehen, als daß sie logisch reagieren konnte.
Dann blickte sie wieder auf – und eisige Furcht griff nach ihr. Das häßliche Gesicht des Mannes war verschwunden. Sein Messer fiel auf ihre Stola, als er nach rückwärts zu Boden sank.
„Großer Gott!“ rief Elspeth in Englisch aus. Die Sänfte begann zu schwanken und sie spähte – ohne dabei die Waffe aus der Hand zu lassen – durch die Vorhänge hinaus.
Lamia und die beiden überlebenden iberischen Sklaven waren von einem halben Dutzend verkommener Banditen umgeben, deren Messer im Licht ihrer Fackeln blitzten. Mehrere tot am Boden liegende Banditen bewiesen ihr, daß ihre Sklaven durchaus entschlossen waren, sie notfalls auch unter Einsatz ihres Lebens zu verteidigen. Sie huschte um die Sänfte herum und preßte Gnaius’ Waffe dem ihr am nächsten stehenden Banditen in die Seite. Er schrie auf, als der Strahl ihn traf und sank dann zu Boden.
Ehe die Banditen zur Besinnung kamen, hatte Elspeth ihr nächstes Opfer gefunden, während ein weiterer Räuber unter einem Schwertstreich eines der Iberer zu Boden ging. Als die noch übrigbleibenden Angreifer sich plötzlich in der Minderzahl fanden, flohen sie unter lauten Schreien in die Nacht.
Elspeth schob die Waffe wieder in ihr Versteck und meinte dann:
„Den Rest des Weges werden wir zu Fuß zurücklegen. Gehen wir. Noch sind wir nicht außer Gefahr.“
Einer der beiden überlebenden Iberer war verwundet, und Elspeth wickelte ihm einen Streifen Tuch um den Oberarm, um den Blutstrom zu stillen – ein Samariterdienst, den der Sklave mit stoischer Ruhe ertrug und der Lamia mit Bewunderung erfüllte.
Die Sklavin hatte ihr Messer an der Tunika eines der toten Räuber abgewischt und hob jetzt eine der noch immer flammenden Fackeln auf, um sie dem zweiten Iberer zu reichen. Als sie sich dem aventinischen Palast näherten, schritt sie dicht neben ihrer Herrin und musterte diese von Zeit zu Zeit ehrfürchtig.
„Weshalb
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