TS 68: Die Stadt im Meer
kein Pfeil? Kein Speer oder Messer?“
„Ganz bestimmt nicht. Die Wunde war zu groß, zu unregelmäßig. Und was in den Körper eindrang, ist noch darin, das habe ich an dem Zustand der Organe und der Haut um die Wunde gesehen.“
„Aber du hast nichts in dem Leichnam gefunden?“
„Gar nichts. Das tödliche Geschoß ist im Körper verschwunden.“
Zee schwieg.
„A propos Wolf“, fuhr die Ärztin nach einer Weile fort, „ich möchte wissen, wo er und der Korporal wohl jetzt sind?“
„Von mir aus können sie tot sein.“
„Aber Zee, das ist doch nicht dein Ernst.“ Barra wartete, aber der Captain schwieg. „Weil sie zusammen verschwunden sind, haben wir einfach angenommen, daß sie zusammen sind. Vielleicht haben wir unrecht? Würde einer von ihnen in die Kolonie zurückkehren?“
„Man würde sie hängen!“
„Weshalb? Sie könnten eine Geschichte erfinden, zum Beispiel, daß wir alle tot und sie die einzig Überlebenden sind. Aber nein“ – sie schüttelte den Kopf – „ich kann nicht verstehen, weshalb er zurückgehen sollte, nachdem er soviel Mühe aufgewendet hat, uns hierher zu bringen. Eigentlich hat keiner von beiden einen Grund gehabt, das Lager zu verlassen, aber sie …“ Sie brach ab, überrascht.
„Aber was?“ wollte der Captain wissen.
Barra wandte sich um und legte Zee die Hand auf die Schulter. „Erinnerst du dich, was wir in der Nacht, als sie verschwanden, besprochen haben? Als wir am Feuer saßen?“
Zee überlegte. „Nein“, sagte sie schließlich.
„Wir sprachen über Cranes Theorie. Erinnerst du dich nicht? Der Korporal saß neben uns und aß von diesen zähen, kleinen Pferdesteaks und hörte zu. Ich erzählte von dem sechsfingrigen Stamm und – o!“
Zee wiederholte: „O?“
„Wir untersuchten die Möglichkeiten einer Verbindung des Mannes mit einer der Soldaten.“
Zee sagte verwundert: „Barra!“
„Ja“, nickte Barra. „Der Korporal hörte zu.“
„Aber Barra, nicht der Korporal, nicht Avon! Ich kenne sie seit Jahren. Sie würde nicht daran denken, sich mit einem Eingeborenen einzulassen!“
„Zee“, gab die Ärztin betrübt zurück, „was du nicht über deine Soldaten weißt, könnte ein ganzes Buch füllen.“ Sie sah kurz zu Leutnant Donn hinüber, die mit den Soldaten des Flankenschutzes marschierte. „Du kannst nicht alles wissen.“
„O, aber doch nicht – doch nicht mit diesem Kerl!“
Barra rieb sich das Kinn. „Nein – das glaube ich nicht. Wir waren erst eine Woche auf dem Marsch. Aber der Korporal war doch schon jahrelang in der Kolonie. Und wahrscheinlich hat sie etwas von unserem Gespräch aufgeschnappt, das sie zur Flucht veranlaßte.“
Zee schwieg niedergeschlagen.
„Ich nehme an“, sagte Barra nach kurzer Pause, „daß sie in die Kolonie zurückgekehrt ist. Wolf hat sie vielleicht begleitet, vielleicht auch nicht.“
„Aber wenn das stimmt, daß sie ein Kind bekommt, dann wird sie nach Hause geschickt.“ Zee war ärgerlich. „Und degradiert.“
„Stimmt. Und wahrscheinlich hat sie sich das gut überlegt. Hätte sie bei der Truppe bleiben sollen? Sie wäre für uns nur ein großes Handikap gewesen.“
„Ich finde es abscheulich!“
„Ich finde, es ist ein natürlicher Vorgang“, widersprach Barra nüchtern. „Und, Zee … deine Art den Soldaten gegenüber ist nicht gerade für Vertraulichkeiten geeignet. Wenn der Fall wirklich so liegt, würde der Korporal es wahrscheinlich vorziehen, deportiert zu werden, als dir unter die Augen zu treten.“
Kurz vor Sonnenuntergang schlugen sie in einem Wäldchen, das Lager auf. Die Wagen wurden unter den Bäumen versteckt und das Essen früh eingenommen, so daß die Feuer vor der einbrechenden Dunkelheit gelöscht werden konnten. Zee teilte die Kommandos zwischen sich und dem Leutnant auf und befahl, das Lager die ganze Nacht unter voller Bewachung mit vierstündiger Wachablösung zu halten. Außerdem schickte sie zwei Mädchen aus, die eine Meile zurück den Weg, den sie gekommen waren, bewachen sollten.
Perri stand Wache, als die zwei an ihr vorbeikamen und erkannte das große, dunkelhaarige Mädchen von der Halbinsel.
„Halt die Augen offen, Küken“, riet Perri ihr lachend. „Und wenn du einen kleinen Mann siehst, pfeif nur.“
„Ich werde ihn dir aufheben“, antwortete die Große.
Die beiden verschwanden.
Mit Einbruch der Nacht wurde es bis auf das Wechseln der Wache im Lager still. Wieder stieg der große, kupfrige Mond am östlichen Himmel
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