TS 82: Geheimagentin der Erde
Zeremonie aufzurufen.
In diesem Moment erhob sich etwas Dunkles, Flatterndes aus dem Rauch über den Vulkanen. Alle, die auf dem Turm standen, schrien zu gleicher Zeit.
„Ein Parradil!“
„Ja!“ schrie Ambrus. „Aber mit dem Tier ist etwas los. Seht doch! Es trägt etwas in den Klauen!“
Sir Gurton trat einen Schritt vor zur Brüstung. Er fragte erregt:
„Kann jemand erkennen, was das ist?“
„Ich glaube …“, sagte der junge Diener, aber er verschluckte sich vor Aufregung. „Ich glaube, es ist ein Mensch. Er hängt unter dem Parradil in einer Art Sattel.“
Fassungslos blickten sie alle zu dem fliegenden Wesen hinüber, bis Belfeor die Geduld riß:
„Na und? Ist das ein Unterschied? Da habt ihr euer Parradil, nach dem ihr euch so gesehnt habt. Können wir jetzt endlich anfangen?“
Aber keiner beachtete ihn. Das Parradil kam näher, schwebte mit mächtigen Flügelschlägen über die Vorstadt hinweg. Jetzt konnte jeder erkennen, daß der junge Diener richtig gesehen hatte. Unter dem Parradil hing ein Mensch, saß in einer Art von Stuhl aus Stricken.
„Verdammt und noch mal verdammt“, tobte Belfeor los. „Idi habe genug davon. Da ist ein Parradil, und ihr habt mich die ganze Zeit damit belästigt, ein Parradil zu töten. Für mich ist es gleich, ob jetzt oder später. Ich mache jetzt Schluß mit dem ganzen Humbug.“
Er zog die Strahlpistole aus dem Gürtel.
Ambrus tat jetzt alles unwillkürlich, aus purem Instinkt. Eine fremde Macht schien ihn anzutreiben – eine Macht, die aus Jahrhunderten der Tradition und darüber hinaus aus dem göttlichen Gesetz entsprang. Sein Arm fuhr an seine Seite, er zog sein altes Adelsschwert aus der Scheide.
Die Klinge pfiff in der Luft.
Der Diktator hatte das Parradil im Visier seiner Strahlpistole, als ihm das Schwert den Schädel spaltete.
Pargetty kreischte wie ein Weib und griff nach seiner eigenen Waffe. Ambrus duckte sich und warf sich in einem Tigersprung auf ihn. Niemand hatte Zeit, einzugreifen. Der Ansprung riß Pargetty aus dem Gleichgewicht, beide stürzten gegen die niedrige Brüstung – und darüber hinweg in den leeren Raum.
Der Schrei der Menschen auf dem Turm übertönte den der Abstürzenden, und dann folgte eine Grabesstille. Sir Gurton hob den Arm. Er sagte dumpf:
„Er hat gesühnt. Nun kann sein Vater in Frieden ruhen.“
Plötzlich fiel es allen wie eine schwere Last von der Seele, viele lächelten.
Sir Gurton fragte:
„Jetzt ist die Frage, was Belfeors Leute tun werden. In den nächsten Momenten werden sie entdecken, wer vom Turm gestürzt ist. Und nun ist es Zeit, die Königsjagd zu eröffnen. Da nur ein einziges Parradil da ist, muß es der König sein. Wir müssen handeln.“
„Seht doch! Seht, wer da mit dem Parradil fliegt! Das ist Saikmar, Corries Sohn! Das schwöre ich!“
Erschüttert sahen alle das Parradil zum Turm herabschweben. Und es war Saikmar! Niemand konnte sein langes, schmales Gesicht verkennen, seine schlanke Gestalt und seine Haltung.
Das Parradil flatterte jetzt so über dem Turm, daß es in der Luft stillstand. Saikmar schrie herunter:
„Habt ihr die Königsjagd eröffnet?“
Diese Frage hatte kein Mensch erwartet. Sie waren sprachlos, selbst Sir Gurton brauchte Zeit, bis er rufen konnte, die Eröffnung sei noch nicht ausgesprochen.
„Tut es nicht!“ rief Saikmar. „Wir in Carrig sollen kein Königs-Parradil mehr töten! Von jetzt ab sind wir alle Brüder des Parradils! Dieses vornehme Tier hat mich zurückgebracht, um den Tyrannen zu stürzen! Gebt das Zeichen zum Volksaufstand!“
Und es war, als habe er mit diesem Wort das Signal gegeben, denn nach wenigen Augenblicken begann der Ausbruch der Vulkane in den Smoking Hills.
*
Später konnte festgestellt werden, daß bei den Ausbrüchen nicht ein einziger Bürger von Carrig ums Leben gekommen war. Die Bauern aus der Umgebung waren schon alle zur Königsjagd in die Stadt gelaufen. Die wenigen, die als Wachen zurückgeblieben waren, ließen alles stehen und liegen, als sie die Flammen aus den Vulkanen schießen sahen, und rannten um ihr Leben. Auch in den Gruben hatten Belfeors Leute die Arbeiter in die Stadt gehen lassen müssen, um eine Meuterei zu vermeiden. Sie selbst allerdings waren in den Gruben geblieben, um eine neue Anlage zu installieren.
Sie alle wurden in den zusammenbrechenden Stollen begraben.
Langenschmidts Agenten in den Bergwerken hatten sich anstellig gezeigt, aber nicht so erfahren, daß es aufgefallen wäre,
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